kam Argawi zur Mission, um sich ein wenig mit mir zu
unterhalten und um eine Zigarette zu rauchen. Er war der
einzige Abessinier, bei dem ich die gesellige Gewohnheit des
Rauchens gefunden habe, vielleicht hatte er sie in Europa
angenommen. Mit seiner Hakennase und seinem Bart,
einer schwarzen Kappe und seiner über die gebeugten
Schultern geschlungenen Schamma, sah er wie ein alter
Jude mit dem Gebetstuch aus. Seine Rede war voll von
Erinnerungen an die Tage seiner Wirksamkeit, an seine
Reisen nach England, Deutschland und der Schweiz. Ins—
besondere sprach er von London, das er im Jahre 1885 be—
suchte. Seine Bewunderung für alle europäischen Dinge,
vor allem der britischen, kannte keine Grenzen. „Als ich im
Piecadilly stand, dachte ich, die Europäer leben im Vorhofe
des Himmels. Wir Afrikaner leben im Vorhofe der Hölle.
Und doch sind wir so stolz und hochmütig ...“
Seine Begeisterung für Europa wurde in der Heimat
nicht gut aufgenommen. Zusammen mit dem älteren Flad
erschien er vor König Theodor. Der König sprach sich sehr
freundlich über die Engländer im allgemeinen und über die
Londoner Mission im besonderen aus, was Flad ermutigte,
ihm zu erzählen, daß bald eine amharische Bibel für den
religiösen Unterricht im Volke fertig sein würde. Dabei
wies er auf Argawi als seinen Mitarbeiter bei der Über—
setzung hin.
Theodors Züge verfinsterten sich. „Wir brauchen keine
Bibel in amharischer Sprache, wir haben bereits eine in
äthiopischer Sprache.“ Und zu Argawi sagte er: „Abessinier
tragen keine Schuhe. Wenn du dich noch einmal in Schuhen
vor mir sehen läßt, lasse ich dich in Ketten legen.“
Im Gegensatz zu diesem aufrechten und tüchtigen Kon—
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