Full text: Die Tarifreform von 1879

19 
unternommen worden wäre, den Nothstand aus den Zollmaass 
regeln von 1865/70 abzuleiten. 
Und doch schälte sich aus dieser roh-empirischen Behand 
lung der wirthschaftlichen Frage ein bestimmtes System heraus, 
zu welchem sich die Interessenten, weil es „praktisch“, die 
Dilettanten, weil es höchst einfach und fasslich war, bekannten. 
Der Inbegriff aller wirthschaftlichen Thätigkeit ist die Operation 
des Tausches eigener und fremder Leistungen. Diese Operation 
hat also zwei Seiten: den Verkauf der eigenen Arbeitsleistung 
(Produzent) und den Einkauf der Arbeitsleistungen dritter (Kon 
sument). Jede dieser beiden, in untrennbarem wirthschaftlichen 
Zusammenhang stehenden Theil-Operationen, steht, für sich be 
trachtet, in einem Gegensatz zu der anderen Operation, welcher 
sofort hervortritt, sowie durch äussere Maassregeln die eine von 
beiden Pheil- Operationen künstlich bevorzugt oder benachtei 
ligt wird. Und dies ist die Tendenz des Schutzzolls, gleich 
viel ob er beabsichtigt die Preise oder nur den Umfang ge 
wisser Produktionen zu steigern. Wenn nun Jemand seine öko 
nomischen b orschungen mit dem blossen Produktionsinteresse 
abschliesst und die Gegenwirkungen auf die mit der Konsumtion 
zusammenhängenden Interessen und deren Kreislauf zum Pro 
duzenten zurück unerörtert lässt, so beschränkt sich seine 
ganze wirtschaftliche Notdurft auf den Einen Satz „durch 
Schutzzölle möglichst hohe Vergütung für die eigene Arbeits 
leistung zu erlangen und Gott für das Weitere sorgen zu lassen.“ 
Dies ist, bewusst oder unbewusst, die Quintessenz der neuen 
wirthschaftlichen Lehrmethode. 
bür diese Lehre ist der Fachmann, der Interessent der 
wahre und einzige Nationalökonom; — das allmählige Eindringen 
dieses erhebenden Bewusstseins nationalökonomischer Befähi 
gung konnte man denn auch in den Reihen der letzten Reichs 
tagsmajorität fast von Sitzung zu Sitzung verfolgen. 
Zu ihrer parlamentarischen Introduktion bedurfte diese 
neue „Doktrin des reinen Produzenteninteresses“ allerdings 
noch der Berufung auf’s Gemeinwohl. Es ist klar, wie ein 
Produzent, der mehr verdient oder absetzt, auch im Stand ist, 
seinen Arbeitern höheren Lohn zu geben, oder eine grössere 
Zahl derselben zu beschäftigen. Der Satz ist an und für sich 
2*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.