Full text: Die Tarifreform von 1879

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ganzen Bewegung bezeichnet, die zu diesem traurigen Ergeb 
nis geführt hat. Und doch wäre es ungerecht, die An 
schauungen, von denen er ausging, lediglich in jenem Inter- 
essenten-Katechismus wiederfinden zu wollen, so wie auch wohl 
angenommen werden darf, dass Herr von Varnbüler, was die 
Höhe der Industrie-Schutzzölle betrifft, vielfach über die Inten 
tionen des Reichskanzlers hinaus gegangen ist. Denn der 
Passus in dem Brief des Reichskanzlers vom 15. Dec. 1878, 
wonach es sich „vielleicht empfehlen würde, bei manchen 
Artikeln, im Interesse einzelner besonders leidender 
Zweige der heimischen Industrie, eine Wiederherstellung 
höherer, oder Erhöhung der gegenwärtigen Zollsätze vorzu 
nehmen,“ ist unmöglich mit dem stattgehabten maasslosen Hin 
aufschrauben des ganzen Zolltarifs, in fast allen Positionen, in 
Einklang zu bringen. Die Coalitionen der Parteien und Inter 
essenten und die Nothwendigkeit, für den finanziell-volkswirth- 
schaftlichen Gesammtplan des Fürsten eine Majorität zu sichern, 
haben ihn dazu geführt, die Varnbüler’schen Ausschreitungen mit 
in den Kauf zu nehmen. 
Fürst Bismarck ging bezüglich der Tarifreform von einer 
selbsterdachten, in jenem Briefe vom 15. Dec. niedergelegten 
generellen Idee aus, die auf den ersten Blick bestechen muss, 
leider aber theoretisch und praktisch unhaltbar ist. Es ist die 
Idee einer Aufhebung der isolirten Schutzzollwirkung 
durch deren Verallgemeinerung. „Schutzzölle für ein 
zelne Industriezweige,“ so heisst es dort, „wirken wie ein Privi 
legium und begegnen auf Seite der Vertreter der nicht ge 
schützten Zweige der Erwerbsthätigkeit der Abneigung, welcher 
das Privilegium ausgesetzt ist. Dieser Abneigung wird ein 
Zollsystem nicht begegnen können, welches der gesummten 
inländischen Produktion einen Vorzug vor der ausländischen 
Produktion auf dem einheimischen Markte gewährt.“ 
Wir werden an einer anderen Stelle, bei Besprechung der 
Getreidezölle, auf den unversöhnlichen Widerspruch des Tarifs 
von 1879 mit den Grundsätzen der Zollgesetzgebung von 1818, 
deren Uebereinstimmung der Fürst doch für sein System in 
Anspruch nimmt, noch näher eingehen. Hier sei nur an die 
unbestreitbare, im Tenor des Gesetzes, wie in den Zahlen des
	        
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