5
stehen mögen. Ein irgend haltbarer Grund, warum Frankreich die Einfuhr
durch hohe Zölle von seinen Grenzen zurückhalten will, ist daher, falls nicht die
entschiedene Absicht des langst verurtheilten Mercantilsystems vorliegt, den mit
der Herstellung der Waaren verbundenen Arbeitsverdienst stets nur Frankreich
vorzubehalten, die fremde Arbeit dagegen mit hohen Zöllen zu überlasten, keines
wegs ersichtlich. Eine Pergleichung der beiderseitigen Zollsätze legt selbst für
Den, welcher die statistischen Handelsausweise nicht kennen sollte, sofort die
Vermuthung nahe, daß bei dem Abschluß des Handelsvertrags der Löwenantheil
ganz entschieden Frankreich zugefallen ist, und zwar nicht dem französischen
Volke, das seinen Bedarf um die hohen Zollaufschläge vertheuert sieht, sondern
der verhältnißmäßig kleinen Zahl französischer Industrie- und Handelsfirmen,
welche nach Innen durch übertriebene Schutz- und Prohibitivzölle bewahrt,
nach Außen in ihrem Absätze durch zu entrichtende Gefälle und Steuern nur
sehr wenig gehindert sind.
Es kommt, um diese Anomalie zu steigern, noch hinzu, daß Frankreich in
seiner durchschnittlich wohlhabenden Bevölkerung für Diejenigen, welche den
dortigen Markt beherrschen, einen sehr dankbaren Absatzkreis bietet, während
der Zollverein mit weit geringerer Kauffähigkeit seine Industriellen veranlaßt,
für ihre Erzeugnisse theilweise auf ausländischen Märkten Absatz zu suchen.
Wenn trotzdem die französischen Producte in weit höherem Grade nach Deutsch
land gegangen sind, als seitens des Zollvereins nach Frankreich ausgeführt
worden sind, so wird dies als ein weiterer Beleg dafür zu erachten sein, daß
wir im Zollverein den Franzosen die Einfuhr ihrer Erzeugnisse und Handels
güter außerordentlich, ja fast bis zur vollen Freigebung erleichtert haben, wäh
rend auf deutscher Seite die Chancen einer auch nur annähernden Gegenseitig
keit schmerzlich vermißt werden.
Der Vertrag war auf zwölf Jahre geschlossen und würde bis zum 1. Juli
1877 giltig geblieben sein, inzwischen ist aber in der Kriegserklärung Frank
reichs ein Ereigniß eingetreten, das damals nicht vorausgesehen werden konnte.
Nach den usuellen Satzungen des Völkerrechts hebt zwar der Krieg alle Ver
träge und somit die zwischen zwei Nationen für die Handelsbeziehungen getroffe
nen Vereinbarungen auf, die Fälle sind indessen nicht selten, daß Handelsver
träge von den Krieg führenden Partheien stillschweigend suspendirt, nach erfolg
tem Friedensschluß sofort wieder in der bisherigen Weise als bindend anerkannt
wurden. Weder im Krimmkriege noch in dem italienischen Kriege von 1859,
ebensowenig mährend des Kriegsjahres 1866 sind die zwischen den betheiligten
Staaten bestehenden Handelsverträge gekündigt worden, so daß es bei den ver
schiedenen Friedensabmachnngen der ausdrücklichen Erklärung, daß diese Ver
einbarungen fortzubestehen hätten, als einer selbstverständlichen Sache kaum erst
bedurfte. Ganz anders ist dies bei dem gegenwärtigen Kriege zwischen Frank
reich und Deutschland. Wenige Tage nach der Kriegserklärung entschied ein
Decret der kaiserlich französischen Regierung den mit dem Zollvereine abge
schlossenen Handelsvertrag nicht blos für suspendirt, sondern ausdrücklich für