Full text: Die Haftpflicht der Eisenbahn-, Bergbau- und Fabrik-Unternehmer

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§ 5. Die in den §§ 1 und 2 bezeichneten Unternehmer 
sind nicht befugt, die Anwendung der in den §§ 1 bis 3 ent 
haltenen Bestimmungen zu ihrem Vortheile durch Verträge 
(mittelst Reglements oder durch besondere Uebereinkunft) im 
Voraus auszuschließen oder zu beschränken. 
Vertragsbestimmungen, welche dieser Vorschrift entgegen 
stehen, haben keine rechtliche Wirkung. 
1. Dieser § 5 war als § 4 bereits in dem Regierungs- 
Entwurf enthalten. In den „Mot." heißt es dazu: 
„Wenn das Gesetz seinen Zweck erreichen soll, so darf 
den Inhabern der fraglichen Anlagen nicht gestattet sein, die 
Anwendung der in den §§ 1—3 enthaltenen Vorschriften durch 
Vertrag, namentlich auch nicht in den Dienstverträgen mit 
ihren Beamten, Arbeitern u. s. w. auszuschließen oder zu be 
schränken. Im Gebiet des Rheinischen Rechts versagt die 
Rechtsprechung vertragsmäßigen Einschränkungen einer derartigen 
gesetzlichen Haftpflicht, als gegen das öffentliche Interesse nud 
die gute Sitte verstoßend, auf Grund des Art. 6 des Rhein, 
bürgerlichen Gesetzbuchs die Geltung. Eine dem entsprechende 
ausdrückliche Vorschrift ist, abgesehen von dem den Transport 
von Gütern auf Eisenbahnen betreffenden Art. 423 des Allg. 
deutschen Handelsgesetzbuchs, hinsichtlich der Haftung der Eisen 
bahnen für Beschädigungen von Personen bereits in dem 
Preußischen Gesetze vom 3. Mai 1869*) und in dem Oesterr. 
Gesetze vom 5. März desselben Jahres enthalten. Diesen Vor 
gängen schließt sich die Bestimmung des § 4 des Entwurfs an. 
Es sagt sich von selbst, daß durch diese Bestimmung dem Un 
ternehmer nicht die Befugniß entzogen werden soll, sich seine 
Regreß-Ansprüche gegen jeden seiner Angestellten im Vertrags 
wege, für den Fall zu sichern, daß der Unternehmer aus dem 
Verschulden des Angestellten in Anspruch genommen werden 
sollte." — 
2. Es ist von verschiedenen Seiten die Meinung geäußert, 
daß § 5 mit § 4 des Gesetzes in Widerspruch stehe, ja, man 
hat § 5 als Wiederaufhebung des § 4 ausgelegt. Doch 
dieser Meinung und Auslegung fehlte das richtige juridische 
Verständniß der beiden Bestimmungen.**) 
*) Dieses Gesetz vom 3. Mai 1869, bete. einen Zusatz zu § 25 des 
Gesetzes über die Eisenbahn-Unternehmungen vom 3. Novbr. 1838, lautet: 
„Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden re. ic. verordnen re., was folgt: 
Einziger Artikel. Die Eisenbahnen sind nicht befugt, die Anwendung der 
im § 25 des Gesetzes über die Eisenb. - Untern, v. 3. Novbr. 1838 enthaltenen 
Bestimmungen über ihre Verpflichtung zum Ersätze des Schadens, welcher 
bei der Beförderung auf der Bahn anchen auf derselben beförderten Personen 
oder auch an anderen Personen, entsteht, zu ihrem Vortheile durch Verträge 
(mittelst Reglements oder auch durch besondere Uebereinkunft) im Voraus 
auszuschließen oder zu beschränken. — Vertragsbestimmungen, welche dieser 
Vorschrift entgegenstehen, haben keine rechtliche Wirkung. — Urkundlich re." 
Das österreichische Gesetz vom 5. März 1869 s. o. zu § 1 Zus. 9. 
In der „Austria" Jahrg. 1871 S. 471 ist in § 5 des Haft 
pflichtgesetzes ein sehr bedeutender Druckfehler zu notiren: dort sind die 
sehr wesentlichen Worte: „im Voraus" ausgelassen. — Der dortige 
Abdruck des Gesetzes enthält außerdem noch mehrere Druckfehler, weshalb 
er vor der Benutzung nach einem eorreeten Texte des Gesetzes zu ver 
gleichen und zu berichtigen ist. 
**) I" îBezug auf den aus einem Antrage des Abg. Lasker her 
vorgegangenen § 4 des Gesetzes und auf den obigen § 5 sagt z. B. Hr. 
Dr. Gallus ln seiner bereits oben angeführten Schrift (S. 12 f.) 
„Also Hr. Lasker schließt einen Compromiß auf Kosten des Be 
rechtigten, welcher 66% pcşt. bezahlt, mit dem Verpflichteten, der nur 
33% pCt. beisteuert. — Wie aber diese Einschaltung mit der Bestimmung 
des § 4 (jetzt § 5) u. s. w. (folgt Wortlaut des §) — logisch sich ver 
einigen läßt, wird wohl Hr. Lasker zu beantworten wissen. — Würde 
durch diesen Lasker'schen Paragraph dem Verpflichteten eine Gelegenheit 
geboten, in einer bereits bestehenden Institution sich vollständig 
zu erholen, dann wäre er nach meiner unmaßgeblichen Meinung als eine 
Verbesserung zu betrachten, so aber nicht. — Solche halben Maß 
regeln bringen nur Unzuträglichkeiten, wie die Praxis zeigen wird. — 
Man kann nicht neuen Wein in alte Schläuche fassen". — 
Zunächst ist zu beachten, daß § 5 die Clauses: „zu 
ihrem Vortheil" als Hinderniß der Geltung des § 4 ent 
hält. Wie wenig z. B. bei den Knappschaftskassen die 
Werksbesitzer, d. i. die Haftpflichtigen des Bergbaus, „zu ihrem 
Vortheil" diese Gelegenheit benutzen, sich ihre Haftpflicht zu 
erleichtern, haben wir oben zu § 4 Zus. 3 statistisch nachge 
wiesen. Eben dadurch, daß § 4 durch § 5 in die Grenzen 
der Tendenz des Haftpflichtgesetzes gewiesen wird, ist der Schluß 
nahe gelegt, daß der Gesetzgeber, insbesondere der Abgeordnete 
Laster, der den § 4 mit Recht vertreten hat, im Anschluß 
an die in den „Mot." dargelegte Tendenz des Entwurfs, recht 
gut gewußt habe, in welchem Verhältniß die bisherigen Lei 
stungen der haftpflichtig zu machenden Unternehmer zu den im 
neuen Gesetz aufgelegten Verbindlichkeiten stehen. Hätte der 
Gesetzgeber dies nicht gewußt, so wäre allerdings entweder § 4 
oder § 5 ein legislatorischer Widerspruch in demselben Gesetze. 
Es ist ferner zu beachten, daß § 5 die Clausel: „im 
Voraus" enthält. Es ist ja gar nicht möglich, durch Dis 
positionen auf Grund des § 4 die §§ 1 bis 3 illusorisch zu 
machen, da die in §§ 1 und 2 bezeichneten Unternehmer dem 
richterlichen Urtheile vorzugreifen außer Stande sind. Dies 
Urtheil hätte ja nach § 7 überall in seiner Macht, die die 
Haftpflicht beschränkenden Verträge re. für widerrechtlich zu er 
klären. Der § 5 ist nur eine legislatorische Anerkennung der 
Freiheit des richterlichen Arbitriums, wie es in § 7 des Ge 
setzes anerkannt worden ist. 
Im Uebrigen kann weder der Gesetzgeber noch der Richter 
verbieten, Vergleiche abzuschließen. Als Vergleiche sind 
die Vereinigungen aufzufaffen, deren Leistungen die in § 4 be 
zeichneten Anstalten und Kassen realisiren, nicht als Verträge. 
Die Leistungen der Kaffen rc. des § 4 sind nämlich nur das 
Resultat der Einigung zwischen Berechtigten und Verpflichteten 
über bisher gegenseitig erhobene streitige Ansprüche. Auch von 
diesem Vergleichs- und Ansgleichungs-Standpunkte der Arbeit 
geber und Arbeitnehmer ist der § 4 als die weiseste Bestim 
mung des ganzen Gesetzes zu betrachten. Sie anticipirt und 
concipirt gewissermaßen Das, was man durch Herstellung von 
Ausgleichs-Commissionen oder Comitês oder Schiedsgerichten 
bezüglich sonstiger Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber nnd Ar 
beitnehmer, namentlich behufs Beseitigung der unseligen Strikes, 
erst noch ausführen und realisiren will. — Man reibe doch 
nicht geheilte wunde Stellen an dem Verhältniß zwischen Ar 
beitgeber und Arbeitnehmer ganz ohne Noth immer wieder 
wund, zumal wenn sie so glückliche Heilung und langzeitige 
Vernarbung gefunden, wie in den Knappschaftsvereinen nnd 
ähnlichen Instituten zum Besten der Arbeitgeber und Arbeit 
nehmer! — 
3. Bei der Bezugnahme der „Mot." (s. o. Zus. 1) auf 
das Gesetz vom 3. Mai 1869 und damit auf § 25 des Eisen 
bahngesetzes vom 3. November 1838 mag hier noch her 
vorgehoben werden, daß ein Rescript der Minister der Finan 
zen und des Innern vom 9. September 1843 (Minister.-Bl. 
d. i. V. 1843 S. 265) die Einholung der ministeriellen Er 
laubniß zur Errichtung von Unterstütz un gs- und Sterb e - 
k a ss en für Eisenbahnbeamte für überflüssig erklärt. Die 
Errichtung und Erhaltung solcher Kassen ist jetzt, bei der Re- 
gulirnng der Haftpflichtverbindlichkeiten der Eisenbahnen, doppelt 
wichtig und durch § 5 des Haftpflichtgesetzes keineswegs unter 
sagt oder beschränkt, im Gegentheil durch § 4 gebilligt und 
deshalb zu fördern, zumal die bis jetzt von den Eisenbahnen 
Hr. Dr. Gallus befindet sich hier im Irrthum über den rechtlichen 
Inhalt der §§ 4 und 5 und wird, bei richtigem Verständniß derselben, 
voraussichtlich noch zu unserem Meinungsgenossen in Hinsicht auf die 
Knappschaftsvereine. —
	        
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