Full text: Die Haftpflicht der Eisenbahn-, Bergbau- und Fabrik-Unternehmer

auch Eisenbahnen nennt, die aber keine andere Bedeutung 
haben, als jedes Geleise unter der Erde im Bergwerke. Aber 
es giebt auch noch andere Eisenbahnen, die zum Betriebe einer 
Hütte dienen, die zur Förderung von einem Bergetablissement 
nach einem Hüttenetablissement im weitesten Sinne reichen, — 
diese Eisenbahnen werden vermöge ihrer Natur auch unter 
das allgemeine Polizeiliche Eisenbahn-Reglement 
und damit unter § 1 des Haftpflichtgesetzes fallen." *) 
Nach unserer Ansicht ist der Streit über den Begriff 
„Eisenbahn" hier ziemlich überflüssig. Denn de lege ferenda, 
aus allen Vorverhandlungen des Gesetzes ist es bekannt und 
unzweifelhaft, daß nur die Eisenbahnen gemeint und getroffen 
werden sollten, welche den Transport von Gütern und Perso 
nen gewerblich, d. h. gegen Lohn betreiben, welche öffent 
liche Verkehrs-Wege und Mittel sind. Das Kriterium der 
von § 1 betroffenen Eisenbahn wird hiernach die Thatsache 
sein, ob und daß die letztere unter den von Staatswegen 
erlassenen Betriebs- und Bahnpolizei-Reglements 
steht. Für den Norddeutschen Bund waren und sind dies das 
Bahnpolizei-Reglement vom 3. Juni und das Betriebs- 
Reglement vom 10. Inni 1870, **) in Kraft getreten resp. 
am 1. Januar 1871 und am 1. October 1870. Diese Re 
glements sind auch von den übrigen deutschen Staaten adoptirt 
oder durch analoge Verordnungen ersetzt worden. Alle Eisen 
bahnen, welche diesen Reglements nicht unterstellt sind, fallen 
nicht unter § 1, sondern als gewerbliche oder maschinelle Hilfs- 
anlagen unter § 2 des Haftpflichtgesetzes, wonach sich die in 
den obenangeführten Aeußerungen des Regiernngs-Commissars 
erörterten Streitfragen auf sehr Präcise Weise erledigen. 
3. Mit vorstehender Bestimmung des Begriffs „Eisen 
bahn" im Sinne des § 1 ist auch außer Zweifel gestellt, was 
unter dem Ausdruck: „bei dem Betriebe" zu verstehen sei. 
Nämlich alle Handlungen und Ereignisse, welche bezüglich der 
Eisenbahnen durch die vom Staate erlassenen Reglements ge 
ordnet sind und berührt werden, machen den „Betrieb" der 
Eisenbahn aus. Es fallen also unter denselben nach dem 
Bahnpolizei-Reglement vom 3. Juni 1870 die Arbeiten 
zur Herstellung, Unterhaltung und Bewachung der Bahn 
(§§ 1 — 6), zur Einrichtung und Unterhaltung der Betriebs 
mittel (§§ 7 —18), zur Handhabung des Betriebes (§§ 19— 
50); ferner das Verhalten des Publikums (§§ 51—71) und 
die Handlungen der Bahn-Polizei und Beaufsichtignng (§§ 
72—79). In gleicher Weise wird Begriff und Umfang des 
Betriebes^ bestimmt durch das Betriebs-Reglement vom 10. 
Juni 1870, indem zum Betriebe gehören: 1. die Pflichtans- 
übung des Dienstpersonals (§§ 1 — 6); die Beförderung von 
Personen in allen damit verbundenen Handlungen und Ereig 
nissen (§§ 7 — 23), ebenso die Beförderung des Reisegepäcks 
(§§ 24—33), der Transport von Leichen (§ 34), Equipagen 
und andern Fahrzeugen (§§ 35—39), lebenden Thieren (§§ 
40—45); ferner II. alle bei der Beförderung von Gütern 
(§§ I—26) vorkommenden Handlungen und Ereignisse. 
Alle Zweifel, ob Ereignisse oder Handlungen zum Be- 
*) Und zwar, — setzt der Commissar des Bundesraths hinzu, — 
„aus folgendem ganz einfachen Grunde. Wenn auch durch die Bahn nur 
die eigenen Producte des Bergwerks-Besitzers weggeschafft werden nach der 
eigenen Hütte, um dort mit verbrannt zu werden, so bleibt doch immer 
die Gefahr nicht blos für die Beamten, sondern auch für alle dritte Per 
sonen dieselbe, wie bei allen andern Eisenbahnen; auch über solche Eisen 
bahnen muß von den Leuten, die rechts und links der Eisenbahn wohnen, 
hinweggefahren werden bei den Durchlässen. Diese Bahnen sind meines Er 
achtens also auch Eisenbahnen im Sinne des Gesetzes. Wo die Linie zu 
ziehen ist zwischen den beiden Kategorien, das bin ich nicht im Stande 
a priori zu sagen, das ist Sache des concreten Falles". — Sten. Ber. S. 451. 
**) Vergl. Bundes-Gesetzblatt 1870 Nr. 23 und 24. 
triebe gehören oder „beim Betriebe" geschehen, erledigen sich 
nach obigen Bestimmungen durch die Feststellung, ob sie in 
Ausführung und Beobachtung der Bahnpolizei- und Betriebs- 
Reglements vorgenommen und vorgekommen sind. Vor- und 
Unfälle, welche in gar keiner Verbindung mit dem Transporte 
stehen, gehören auch nicht zum Betriebe, wie z. B. der ganze 
innere Betrieb der Werkstätten für Maschinenbau u. s. w. 
Das Kriterium ergiebt sich hier durch die Entscheidung der 
Frage, ob die Dinge, welche Veranlassung zu dem Vor- und 
Unfälle gegeben, mit der Eisenbahn, d. i. den Schienengeleisen 
und ihrer Benutzung zum Transport, in nothwendigem Be 
triebs-Zusammenhänge stehen, sei es in Bewegung oder Ruhe, 
ob sie nicht ebenso gut als selbstständige Anlagen bestehen und 
betrieben werden können, wie Werkstätten, Material-Nieder 
lagen, Güterschuppen rc., Beamten-Wohnungen, Restaurationen 
u. s. w. So wird z. B. ein Arbeiter, der bei der Arbeit 
innerhalb der Werkstätte beschädigt wird, nicht nach § 1, 
sondern nur nach § 2 des Haftpflichtgesetzes entschcidiguugsbe- 
rechtigt; fährt er aber z. B. eine Locomotive, einen Wagen rc. 
außerhalb der Werkstätte auf den Schienen, deren Benutzung 
unter den Bahnpolizei- und Betriebs-Reglements steht, und 
wird dabei beschädigt, so kommt ihm § 1 zu Gute. 
Ein Passagier, der außerhalb der Grenzen des Terrains, 
das er nach jenen Reglements beschreiten darf, verunglückt, 
hat keinen Anspruch auf Entschädigung, er ist durch eigene 
Schuld verunglückt. Einem Passagier, der in Erwartung des 
von ihm durch Billet belegten Zuges im Wartezimmer verun 
glückt, z. B. durch Einsturz einer Decke, einer Wand rc., steht 
§ 1 des Haftpflichtgesetzes zur Seite, denn die Wartezimmer 
gehören zu den Betriebs-Ein- und Vorrichtungen und das Re 
glement vom 10. Juni 1870 (§ 14) gestattet den Aufenthalt 
in denselben. Betritt man jedoch die Wartezimmer wider das 
Reglement, so ist dies eine Handlung, welche nicht zum Be 
triebe der Eisenbahn gehört, also auch nicht unter § 1 des 
Haftpflichtgesetzes fällt. Eine allein reisende Dame, welche 
einen Platz im Damencoupö verlangt, aber nicht erhält (§ 12 
Reglern.), dann aber von Männern verletzt oder sonst entschä- 
diguugsberechtigt wird, kann das Haftpflichtgesetz gegen die 
Eisenbahn anrufen. 
In ähnlicher Weise wird sich die Frage, ob der Vor- 
und Unfall „beim Betriebe" im Sinne des Gesetzes vorge 
kommen, fast ohne Ausnahme nach der Heranziehung und An 
wendung der Bahnpolizei- und Betriebs-Reglements entschei 
den lassen. 
Manche Fälle sind übrigens schon durch die Erkenntnisse 
des Ober-Tribunals entschieden. Diese Entscheidungen sind, 
bei dem legislatorischen Quellenznsammenhange des § 25 des 
Preuß. Eisenbahngesetzes vom 3. Novbr. 1838 mit § 1 des 
Haftpflichtgesetzes noch immer beachtenswerth. 
So ist durch Erk. des Ob. - Trib. vom 21. April 1854 
(Präj. Nr. 2517) entschieden, daß die Ersatzpflicht der Eisen 
bahn-Verwaltung nicht voraussetze, daß „die Person en- und 
Güterzüge sich gerade in Thätigkeit befinden", vielmehr 
genügt schon jede andere Bewegung des Betriebs - Materials 
auch außerhalb des Zugdienstes. In dem dieser Entscheidung 
zu Grunde liegenden Falle war ein Wagen mit einer zum 
Wassereinnehmen in Bewegung gesetzten Locomotive auf einem 
ungesperrten Uebergange zusammengestoßen. — Dagegen for 
derte eine Entscheidung vom 7. Juli 1852, daß die Beför 
derungsmittel in Thätigkeit (Bewegung) sein müssen, wenn ein 
dadurch veranlaßter Schade ersatzberechtigt werden solle. In 
dem betreffenden Falle hatte sich ein Pferd an der reglements-
	        
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