II. Staatlicher Schutz der Unternehmer- und Arbeiterklasse.
31
Wettbewerbs im modernen Wirtschaftssystem zu dem Punkt, um den sich
die Wirtschaftspolitik der nächsten Jahrzehnte drehen sollte. In Frage stand dabei
die Stellung der Regierung 1. im allgemeinen gegenüber dem freien Wettbewerb aus
dem Waren-, Kapital- und Arbeitsmarkt überhaupt, 2. im besonderen — zumal in
folge des landwirtschaftlichen Notstandes und unter der Einwirkung des sozialistischen
Pessimismus — ihre Stellung zwischen dem Groß besitz, dem Mittelstand und den
nichtbesitzenden Klassen, ferner gegenüber dem Gegensatz zwischen dem wachsenden
Machtbereich des Weltverkehrs und dem nationalen Staat (Produktions- und
Expansionssystem, See- und Weltwirtschaftspolitik).
Wo überhaupt die Grundtendenz einer Volkswirtschaft und die Starke eines
Staatsmesens immer zuerst und am deutlichsten zutage tritt, wo auch in den letzten
Jahrzehnten tatsächlich Regierung und Gesetzgebung am kräftigsten eingriffen imb
eingreifen mußten, das waren folgende Grundfragen: 1. die Mittelstands- und
Arbeiterfrage und 2. die negativen und positiven Beziehungen zum Ausland,
oder der Schutzzoll, sowie der Erwerb von Kolonialbesitz und die Expansions
politik.
1. Staatlicher Schutz des Mittclstaudcs.
a) Kleingewerbe und kleingewerbliche Organisation.
Den Anfang der sozialen Bewegung bildet, wie schon erwähnt, die gegen
die Mitte des vorigen Jahrhunderts auftretende Bedrängnis des Kleinbetriebs, des
Handwerkerstandes, der damals etwa zwei Millionen Existenzen repräsentierte. Klar
vor Augen trat sie zuerst in der geringeren Widerstands- und Konkurrenzfähigkeit des
Handwerks. Vergeblich suchte man nach den Mitteln zur „sozialen Reform". Am
dringendsten erschien die Einführung der formalen Gleichberechtigung. So wurde denn
in den 60er Jahren in den einzelnen Bundesstaaten, schließlich 1860 durch das nord
deutsche „Notgewerbegesetz" und mit seiner Ausdehnung auf das Deutsche Reich im
Jahre 1871 die Gewerbe- und Konkurrenzfreiheit im ganzen Reiche eingeführt. Bereits
im Jahre 1873 jedoch gelangten auf Grund der damaligen Krise die zünftlerischen Be
strebungen zum Wiedererwachen. Manche Handwerkszweige, wie die der Leinenweber
Wollspinner, Seiler, Drechsler, Nagelschmiede lagen in einem aussichtslosen Existenz
kampf. Andere Kleinbetriebe fühlten sich durch spezielle Neuerungen im Erwerb be
schränkt, so durch die neuaufkommende Konkurrenz der Gefängnisarbeit, der Konsum-
vereine, der Abzahlungsgeschäfte, der Wandergewerbe, durch den unlauteren Wett
bewerb re. Alle sehnten die früheren Tage zurück, in denen diese Bedrängnisse
noch unbekannt waren. Die Wiedereinführung des Zunftzwanges sollte sie wieder
heraufführen.
Die Beschwerdepunkte und die Mittel für die Nenbelebung des Kleinbetriebs
suchten die Fiihrer Ende der 70er Jahre zu einem Reorganisationsprogramm zu
sammenzufassen, dessen Kern staatliche Garantie eines Durchschnittseinkommens, staat
licher Schutz gegen die großkapitalistische Preisunterbietung im Wege der Privilegierung