Full text: Russlands Handels-, Zoll- und Industriepolitik von Peter dem Großen bis auf die Gegenwart

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X. Abschnitt. Rückblicke und Ausblicke. 
Daß die deutsche Exportindustrie mit einigem Bangen, so 
weit sie in Rußland ihr Absatzgebiet hat, in die Zukunft blickt, ist 
begreiflich. Uns scheint aber, daß die Besorgnisse wesentlich sich ver 
mindern müssen, wenn die ganze Situation unbefangen erwogen wird. 
Die naturgemäße Voraussetzung für jeglichen Exportindustrialismus ist 
das Vorhandensein eines breiten Bedarfs auf der Gegenseite. In Rußland 
aber wird die Nachfrage nach industriellen Erzeugnissen, wenn erst 
Krieg und Krisen der Vergangenheit angehören, ungemein sich steigern, 
und zwar um so schneller und intensiver, je stärker und durchgreifender 
die Hebel sind, welche von der staatlichen Wirtschaftspolitik zur Empor 
hebung des nationalen Wohlstands in Anwendung gebracht werden. 
Soweit nun bei der zukünftigen Bedürfnisbefriedigung das Ausland 
überhaupt in Betracht kommt, wird das Deutsche Reich eine stetig sich er 
weiternde Vorzugsstellung einnehmen. Das werden, ganz abgesehen von 
der Gediegenheit, Qualität und Billigkeit der deutschen Jndustriewaren, 
die durch den Handelsvertrag enger geknüpften nachbarlichen Beziehungen 
mit sich bringen. Unter diesem Gesichtspunkt hat die deutsche Industrie 
die beste Aussicht, ihre bisherige Suprematie nicht nur aufrechtzuerhalten, 
sondern auch noch auszudehnen. 
Nächstdem wird unsere Ausfuhr von der Entwicklung der 
russischen Industrie abhängig sein, deren Überlegenheit auf dem reich 
lichen Vorhandensein von Rohstoffen der schweren Industrie und niedrigen 
Arbeitslöhnen bei langer Arbeitszeit beruht. Insoweit diese Produktions 
elemente für die industrielle Konkurrenz ausschlaggebend sind, dürfte 
es ratsam sein, die Aussuhrrechnungen möglichst niedrig anzusetzen, 
jedenfalls sie nicht auf die Dauer und mit hohem Gewinn zu veran 
schlagen. Rußland befindet sich als Schuldnerstaat, wie wir in diesem 
Buche wiederholt hervorgehoben haben, schon allein aus Rücksicht auf seine 
Goldbilanz unter dem Zwange ökonomischer Nötigung, seinen Übergang 
vom Agrar- und Rohstoffstaat zu den höheren Stufen des Industrialismus 
zu beschleunigen; es wird sich in diesem Streben weder durch Rücksichten 
auf freihändlerische Theoreme, noch auf freundschaftliche Handelsvertrags 
angebote, noch endlich auf die Wünsche seiner landwirtschaftlichen Erwerbs 
stände beirren lassen. In bezug auf Massen- und Stapelartikel bestimmter 
Gattung ist der russische Absatzmarkt für das Ausland verloren gegangen 
lange ehe der neue Vertrag in Erscheinung trat. Professor Pohle ist der 
Meinung, daß Deutschland im Laufe einer späteren Entwicklungsphase 
des Aufschwunges der internationalen Industriezweige nicht nur seinen 
auswärtigen Absatz an Metallfabrikaten und speziell Eisenwaren, sondern 
auch in billigen Geweben und Kleidern, Posamenten und anderen Er-
	        
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