Full text: Die Organisation des britischen Weltreichs und die Londoner Reichskonferenz von 1911

36 
vermieden werden sollte. Unterdessen gingen die Verhandlungen über 
einen Gegenseitigkeitsvertrag weiter, sie führten im Herbst zu dem be 
kannten Abschluß, wodurch die Gefahr eines Zollkrieges völlig gebannt 
wurde, indem einem großen Teil der beiderseitigen Waren völlig freier 
Verkehr, einem andern stark herabgesetzte Zölle gewährt wurden. 
Wäre dies in Kanada ebenso genehmigt worden, wie in den Ver 
einigten Staaten, so hätte es nicht nur der englischen Einfuhr nach 
Kanada schwer geschadet, sondern auch aller übrigen, auch der 
deutschen, die im letzten Jahre von 24,8 auf 36,6 Millionen Mark 
gestiegen ist. Statt dessen ist es abgelehnt und damit die Frage wieder 
eröffnet, ob nun der Panamerikanismus einen neuen Vorstoß machen 
und der Zollkampf wieder eröffnet wird. Zurzeit freilich ist der Hoch 
schutzzoll in den Vereinigten Staaten im Zeichen des Krebses. 
Der englische Imperialismus triumphiert. Und doch ist die viel 
weiter gehende Frage, ob die Vereinigten Staaten sich gefallen lassen 
werden, daß England seinerseits auf ihre Kosten die Einfuhr aus 
Kanada zollpolitisch bevorzugt, noch in keiner Weise entschieden, 
ln England erörtert man sie gar nicht. Und doch verdoppelt sich 
damit für die Vereinigten Staaten der Reiz zum Widerstande. Denn 
dann müßten sie zu den Nachteilen,, die ihnen die Differenzierung 
in Kanada zugunsten Englands bereitet, auch noch die in den Kauf 
nehmen, die England zugunsten Kanadas einführen würde. Darauf näher 
einzugehen, hieße den Rahmen dieser kleinen Schrift überschreiten. 
Die Organisation des britischen Weltreichs ist der Gegenstand, 
dem sie gewidmet ist. Wir haben gesehen, daß in den Dominions 
viel Neigung für die Erhaltung der bei ihnen bereits bestehenden 
zollpolitischen Bevorzugung des Mutterlandes besteht, dagegen hin 
sichtlich der politischen Organisation teils Widerstand besteht, teils 
nur unausführbare Gedanken geäußert sind. Auch im Mutterlande 
hat man keinen Plan erzeugen können, weder innerhalb der Konferenz 
noch außerhalb. Die Partei im Vereinigten Königreich, die jetzt die 
Parlamentsraehrheit besitzt, ist nicht die eifrigste dafür. Einst wird 
sie wieder der konservativen das Feld räumen müssen, vorausgesetzt, 
daß die britische Wällerschaft bereit sein wird, das Experiment des 
zollpolitischen Imperialismus zu machen. Um eine politische Organi 
sation durchführen zu können, müßte die imperialistische Partei zu 
nächst selber einProjekt aufstellen können. Noch ist das nicht geschehn. 
Eins mag noch hinzugefügt werden: wie man die n i c h t selbst 
verwaltenden Kolonien in den vervollkommnten Organismus des 
Reiches einbeziehen will, darüber ist kaum gesprochen worden. Die 
Behandlung Indiens und Ägyptens bildet ein Problem für sich. In 
diesen Ländern fehlt das, was in den Dominions trotz des Partikularis 
mus so kräftig und lebenswann pulsiert: das Gemeinschaftsgefühl 
mit den Engländern in Rasse, Sprache, Kultur und Geschichte, der 
britische Patriotismus. 
Druck von Leonhard Simion Nf. in Berlin SW. 48.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.