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vermieden werden sollte. Unterdessen gingen die Verhandlungen über
einen Gegenseitigkeitsvertrag weiter, sie führten im Herbst zu dem be
kannten Abschluß, wodurch die Gefahr eines Zollkrieges völlig gebannt
wurde, indem einem großen Teil der beiderseitigen Waren völlig freier
Verkehr, einem andern stark herabgesetzte Zölle gewährt wurden.
Wäre dies in Kanada ebenso genehmigt worden, wie in den Ver
einigten Staaten, so hätte es nicht nur der englischen Einfuhr nach
Kanada schwer geschadet, sondern auch aller übrigen, auch der
deutschen, die im letzten Jahre von 24,8 auf 36,6 Millionen Mark
gestiegen ist. Statt dessen ist es abgelehnt und damit die Frage wieder
eröffnet, ob nun der Panamerikanismus einen neuen Vorstoß machen
und der Zollkampf wieder eröffnet wird. Zurzeit freilich ist der Hoch
schutzzoll in den Vereinigten Staaten im Zeichen des Krebses.
Der englische Imperialismus triumphiert. Und doch ist die viel
weiter gehende Frage, ob die Vereinigten Staaten sich gefallen lassen
werden, daß England seinerseits auf ihre Kosten die Einfuhr aus
Kanada zollpolitisch bevorzugt, noch in keiner Weise entschieden,
ln England erörtert man sie gar nicht. Und doch verdoppelt sich
damit für die Vereinigten Staaten der Reiz zum Widerstande. Denn
dann müßten sie zu den Nachteilen,, die ihnen die Differenzierung
in Kanada zugunsten Englands bereitet, auch noch die in den Kauf
nehmen, die England zugunsten Kanadas einführen würde. Darauf näher
einzugehen, hieße den Rahmen dieser kleinen Schrift überschreiten.
Die Organisation des britischen Weltreichs ist der Gegenstand,
dem sie gewidmet ist. Wir haben gesehen, daß in den Dominions
viel Neigung für die Erhaltung der bei ihnen bereits bestehenden
zollpolitischen Bevorzugung des Mutterlandes besteht, dagegen hin
sichtlich der politischen Organisation teils Widerstand besteht, teils
nur unausführbare Gedanken geäußert sind. Auch im Mutterlande
hat man keinen Plan erzeugen können, weder innerhalb der Konferenz
noch außerhalb. Die Partei im Vereinigten Königreich, die jetzt die
Parlamentsraehrheit besitzt, ist nicht die eifrigste dafür. Einst wird
sie wieder der konservativen das Feld räumen müssen, vorausgesetzt,
daß die britische Wällerschaft bereit sein wird, das Experiment des
zollpolitischen Imperialismus zu machen. Um eine politische Organi
sation durchführen zu können, müßte die imperialistische Partei zu
nächst selber einProjekt aufstellen können. Noch ist das nicht geschehn.
Eins mag noch hinzugefügt werden: wie man die n i c h t selbst
verwaltenden Kolonien in den vervollkommnten Organismus des
Reiches einbeziehen will, darüber ist kaum gesprochen worden. Die
Behandlung Indiens und Ägyptens bildet ein Problem für sich. In
diesen Ländern fehlt das, was in den Dominions trotz des Partikularis
mus so kräftig und lebenswann pulsiert: das Gemeinschaftsgefühl
mit den Engländern in Rasse, Sprache, Kultur und Geschichte, der
britische Patriotismus.
Druck von Leonhard Simion Nf. in Berlin SW. 48.