Full text: Festnummer der Wochenschrift des Niederoesterreichischen Gewerbe-Vereines anlässlich seines 70-jährigen Bestandes

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durch unser Regierungsgebäude weht und daß diese alles 
aufmerksam verfolgt, was im Im oder Auslande an 
neuen Erscheinungen im Wirtschaftsleben sich zeigt und 
redlich bemüht ist, die Gesetze diesen neuen Erscheinungen 
anzupassen. Wenn trotzdem viele Hemmungen auf wirt' 
schaftlichem Gebiete sich zeigen und trotzdem Unzufrieden' 
heit herrscht, so glaube ich Ihnen kein Geheimnis zu 
verraten, wenn ich sage, daß dies wahrscheinlich mit 
unseren nationalen Verhältnissen zusammenhängt. Der 
nationale Absonderungsprozeß, der in Österreich seit 
Dezennien vor sich geht dürfte die wahre Ursache sein, 
warum wir uns gewissermaßen im Kreise drehen und 
nicht vorwärts kommen. Dieser Absonderungsprozeß hat 
leider nicht bloß anderssprachige Provinzen ergriffen, 
sondern fängt bereits auch in deutschen Provinzen an. 
Es ist jedenfalls eigentümlich, daß wir zu einer Zeit, wo 
wir Bosnien und Dalmatien wirtschaftlich uns angliedern 
wollen, im Begriffe stehen, Tirol an Süddeutschland zu 
verlieren, und da möchte ich die Herren Vertreter der 
autonomen Landesverwaltung darauf aufmerksam machen, 
daß sie ihre Bestrebungen zur Hebung des heimischen 
Gewerbes ausdehnen auf eine intensive Hebung des 
Innenexportes — meine Herren, ein lächerliches Wort 
für eine sehr ernste Sache. Vielleicht wird auch die 
Gemeinde genötigt sein, sich mit diesen Dingen zu be' 
fassen. Ist doch die Selbstverwaltung der Gemeinden 
eines jener Güter, welche zu den besten Errungen' 
schäften des Jahres 1848 gehören, an welchen unser 
Verein mitgewirkt hat. Die Gemeinde, die heute selbst 
der größte Industrielle in Wien ist, ist uns dadurch 
wesentlich nähergerückt, weil alle unsere Bestrebungen 
bei ihr auf volles Verständnis stoßen, und so sehen wir, 
daß es gerade bei jenen drei Verwaltungsfaktoren, welche 
uns am nächsten funktionieren, eigentlich nicht schlecht 
bestellt ist, und wenn auch nicht die Zeiten darnach 
sind, uns in eine Hurrastimmung zu versetzen, so können 
wir doch mit einigem Vertrauen in die Zukunft blicken, 
und zwar gerade mit Rücksicht auf die Tadellosigkeit 
der drei Verwaltungskörper. Ich glaube daher, Sie 
werden einstimmen in den Ruf: »Die Vertreter der drei 
Faktoren, der Staats'und Landesregierung, der autonomen 
Landes^ und Gemeindeverwaltung, sie leben hoch!“ (Leb' 
hafter Beifall.) 
Sektionschef Dr. Mataja: 
Die in erster Linie berufenen Wortführer der Re' 
gierung sind leider heute am Erscheinen verhindert — 
die hochansehnliche Versammlung muß daher damit 
Vor lieb nehmen, daß ich allen Teilnehmern des Festes 
den Gruß und insbesondere den Mitgliedern des Nieder' 
österreichischen Gewerbevereines den herzlichsten Glück' 
wünsch der Regierung hier entbiete. 
Wir feiern in der Tat heute ein erhebendes Fest, ein 
lubiläum seltener und freudiger Art. 
Ein seltenes — in unserer raschlebigen und leider 
auch rasch verbrauchenden Zeit sind Perioden siebzig' 
jährigen erfolgreichen Schaffens eben nichts gerade 
Häufiges. Ein freudiges — weil es sich bei der heutigen 
Feier unser aller Überzeugung nach nicht bloß um einen 
ehrenvollen Rückblick auf eine ehrenvolle Vergangenheit 
handelt, der zugleich einen Abschied bedeutet, sondern 
ebensosehr um einen frohen Ausblick auf die Zukunft. 
Ihr Verein, meine sehr geehrten Herren, ist eben alt, 
aber nicht gealtert. Er hat viel gegeben, ist aber nicht 
ausgegeben. Er hat mancherlei erlebt, hat sich aber nicht 
überlebt. 
Und doch war, wenn ich offen sein darf, die Gefahr 
des Sichüberlebens nicht ganz ausgeschlossen. 
Entsprossen ist ja der Gewerbeverein einer Zeit, in 
der die heute so geläufigen Ideen der Assoziation und 
Organisation noch durchaus neu und unerprobt waren, 
wo schon der Gedanke an die Schaffung einer Ver 
einigung als ein schöpferischer gelten durfte und mußte. 
Heute allerdings sind wir von einer Menge anderer 
Korporationen und Gesellschaften verwandter und ab' 
weichender Art umgeben und trotz des Gedränges hat 
der Gewerbeverein seinen Platz behauptet, ist unter den 
vielen nicht zu viel geworden. 
Dies dankt er vor allem seinem steten und zielbe' 
wußten Vorgehen im Interesse des heimischen Gewerbe' 
fleißes, er dankt es seinen großen Verdiensten um Aus' 
stellungswesen und Verbreitung technischer und kom' 
merzieller Bildung, seiner großartigen Schöpfung, dem 
Technologischen Gewerbemuseum, und sonstigen Leistun' 
gen auf dem Gebiete der Gewerbeförderung u. v. a. 
Auch eines anderen Umstandes möchte ich gedenken, 
der den Verein frisch und jung in seiner Eigenart erhält. 
Unsere Zeit liebt es leider, so häufig Gegensätze auf' 
zubauschen, man sucht oft lieber nach TrennungS' als 
nach Vereinigungspunkten, man übersieht bisweilen ge' 
flissentlich über Interessendifferenzen die oft viel ge' 
wichtigeren Interessengemeinschaften. Der Niederöster' 
reichische Gewerbeverein hat es nun umgekehrt ver' 
standen und versteht es noch heute, sehr verschiedene 
Kreise und Schichten um sich zu scharen zu gemein' 
samer Tätigkeit unter dem Banner unpolitischer, aufs 
allgemeine Wohl gerichteter Bestrebungen. 
Meine Worte können daher nicht bloß ausklingen in 
der wohlverdienten Anerkennung der langjährigen, er' 
folgreichen Tätigkeit des Vereines und aller jener Männer, 
die in ihm gewirkt, die ihn geleitet haben und heute 
führen. Sie gipfeln vielmehr in dem Wunsche, daß der 
Verein in altbewährter Tatkraft fortschreite auf den ge' 
wohnten Pfaden, vorwärts zum Nutzen und zu Ehren von 
Österreich und Österreichs Gewerbefleiße! (Stürmischer 
Beifall.) 
Vizebürgermeister Dr. Neumayer: Auch ich bin 
Dank schuldig, zwar nicht in eigener Person, wohl aber 
für die Gemeinde Wien, nachdem der geehrte Herr 
Vorredner, Herr Vizepräsident die Güte gehabt hat, auch 
sie in seine Wünsche einzuschließen. Meine sehr ge' 
ehrten Herren! Wir Wiener sind in dieser Beziehung 
nicht besonders verwöhnt, wenn Vaterlandsgenossen 
Bankette halten, im Gegenteil, wir sind gewöhnt, daß 
unserer Vaterstadt warme Sympathien und Ehre er' 
wiesen wird, wenn Gäste hier weilen, die von recht weit 
herkommen; wir hören dann von ihnen Loblieder, die
	        
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