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VIII. Kapitel.
Ermessen“, welche Worte aber gewöhnlich in sehr unklarem Sinne
gebraucht werden und zu großer Verwirrung Anlaß geben. Der
Gegensatz von „Pflichtfreiheit“ und „Pflichtgemäßheit“, welchen man
mit den Worten „freies Ermessen“ und „gebundenes Ermessen“ zum
Ausdrucke bringen will, obwaltet nämlich zwischen besonderen „Ver-
halten-Seelenaugenblicken“, zwischen „freien Verhalten-Seelen-
augenblicken“ und zwischen „pflichtgemäßigen Verhalten-Seelenaugen-
blicken“. „Ermessen“ im Sinne von „Werten“ ist aber gar kein Ver-
halten, insbesondere kein Handeln, sondern ist besonderes Denken,
hinsichtlich dessen der Gegensatz von „frei“ und „gebunden“ in dem
eben erwähnten Sinne gar nicht vorhanden ist. Allerdings gibt es
zahlreiche Fälle, in welchen jemand durch besonderes Tun, nämlich
„Nachdenken“, „Nachsinnen“ zu seinem „Ermessen“ gelangt und dieses
„dem Gewinne eines Ermessens Nach-sinnen“, dieses „Nachdenken“
kann allerdings „frei“ oder „gebunden“ sein, je nachdem, ob mit solchem
Tun keine Pflicht oder eine Pflicht erfüllt wird. Indes besteht keines-
wegs wesentlich eine „Pflicht“ jenes, von dem eine an einen Dritten
gerichtete Weisung kraft Wertung beansprucht ist, erst „nachzudenken“,
sondern nur seine „Pflicht“, auf Grund seiner Wert- oder Unwert-
Überzeugung zu weisen, welche Überzeugung ihm sehr häufig ohne
„Nachdenken“ zugehörig ist. Die Entgegensetzung von „freiem Er-
messen“ und „gebundenem Ermessen“ ist also fehl am Orte, da „Werten“,
überhaupt „Denken“, kein „Tun“ ist. Prüfen wir aber, welcher Gegen-
satz in Wahrheit mit den gebräuchlichen Werten „freies Ermessen“
und „gebundenes Ermessen“ gemeint ist, so finden wir, daß der Gegen-
satz „Weisung kraft Wertung“ und „Weisung kraft Auslegung“ ge-
meint ist. Es ist aber eben unzutreffend, die „Weisung kraft Aus-
legung‘“ als „Weisung kraft gebundenen Ermessens‘“ zu bezeichnen,
da der „kraft Auslegung Weisende‘‘ überhaupt nicht „kraft Ermessens
kraft Wertens)“ Weisungen erteilt. ‚Gebunden‘ ist aber auch jeder
„kraft Wertung Weisende‘‘ insoferne, als er in einem „Anspruch-
erfüllungs-Seelenaugenblicke‘“ urteilt, also nach seinem Ermessen ur-
teilt, weil er weiß, daß er verpflichtet ist, nach seinem Ermessen zu
urteilen. Der „kraft Ermessens Weisende‘“ ist also hinsichtlich be-
sonderen Handelns, nämlich „Urteilens‘‘ gebunden, keineswegs aber
hinsichtlich jenes Ermessens, auf Grund dessen er urteilt. Es kann
aber ferner auch mit den Worten „freies Ermessen“ und „gebundenes
E. messen‘ der Gegensatz ‚„unbeschränkten Ermessens‘‘ und „be-
schränkten Ermessens‘“ getroffen werden. Eine „Weisung kraft un-
beschränkter Wertung“ ist von jemandem beansprucht, wenn von
ihm nicht überdies beansprucht ist, gewisse Weisungen, die Besonder-
heiten der bezeichneten Weisung-Art sind, zu unterlassen, eine „Wei-
sung kraft beschränkter Wertung“ ist hingegen von jemandem