Full text: Wirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik

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Einführung. 
an die Besitzer der Arbeitskraft, und es kämpfen 
unter sich die Besitzer der Arbeitskraft bei der 
Verleihung ihrer Arbeitskraft an die Besitzer der 
Kapitalsgüter. Aus der Konkurrenz der Besitzer 
der Kapitalsgüter auf der einen Seite und aus 
der Konkurrenz der Besitzer der Arbeitskraft auf 
der anderen Seite ergibt sich die jeweilige Leih 
rate sowohl für die den Besitzern der Arbeitskräfte 
zur Verfügung gestellten Kapitälsgüter als auch 
umgekehrt für die den Besitzern der Kapitalsgüter 
zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte, welch letz 
tere in den einzelnen Wirtschaftsgebieten viel 
stärkere Differenzen aufweist als die erstere. 
Die Gemeinsamkeit der wirtschaftlichen Inter 
essen der Natur gegenüber führt die Menschen zu 
gemeinsamer Tätigkeit zusammen und hält sie zu 
sammen, obwohl dieses gemeinsame Zusammen 
wirken unter Verhältnissen erfolgt, die eine starke 
Differenzierung der wirtschaftlichen Kräfte zur 
Voraussetzung haben. Denn nicht nur sucht jeder 
Stärkere die Arbeit gegen die Natur auf den 
Schwächeren abzuwälzen, sondern auch vom Ertrag 
der Arbeit einen möglichst großen Anteil zu er 
halten. Die Entwicklung der menschlichen Wirt 
schaft hat dazu geführt, daß die Stärkeren sich 
ihre Vorrechte zu sichern suchten, für sich sowie 
für ihre Nachkommen. Durch besondere Organisa- 
tionen, vor allem durch die staatlichen Organisa- 
rionen, haben sie die wirtschaftlich schwächeren 
Schichten zur Anerkennung einer Rechtsordnung 
genötigt, die der Ausdruck des politischen Ein 
flusses der wirtschaftlich starken Schichten ist. Wirt 
schaftliche Macht äußert sich im Bereichs einer 
Privatwirtschaft, Unternehmung oder Organisation 
in einer gewissen Herrschaft, die ihren Willen 
den wirtschaftlich Schwächeren aufzwingt. In der 
Familie ist der Ernährer diese Machtperson, der 
für die Mitglieder die Ordnung schafft, nach der 
sich das Leben abspielt, der auch auf die Verteilung 
des Einkommens bestimmenden Einfluß hat. So 
bilden sich die Kampfmittel heraus und beschränken 
die volle Bewegungsfreiheit der einzelnen Privat 
wirtschaft, der Unternehmungen und der Organi 
sationen. Aber auch gemeinsame Interessen ent 
stehen wieder im Kampfe der Menschen gegen 
Menschen. So entsteht der politische Zusammen 
schluß, so der Zusammenschluß von Starken zur 
Niederhaltung von Schwächeren und zur Sicherung 
ihrer starken Position, so der Zusammenschluß der 
Schwachen zur Bekämpfung der Starken, zur Er 
ringung wirtschaftlicher Erfolge und wirtschaft 
lichen Einflusses, die sich auch in einer Zunahme 
politischen Einflusses und politischer Macht äußern. 
Der Kampf dreht sich also einmal um die Ver 
teilung der Arbeitslast, noch mehr aber um die 
Verteilung des Arbeitsertrages. Es ist vollständig 
verkehrt, mit den Waffen irgendeiner bestimmten 
Moral das Wesen und die Arten des wirtschaft 
lichen Kampfes rechtferftgen oder verurteilen zu 
wollen. Die Aufgabe der Wissenschaft ist zunächst, 
diesen Kampf aufzuklären und nachzuweisen, daß 
er eine notwendige Erscheinung ist und daß die 
heutige Verschiedenheit in wirtschaftlicher und so 
zialer Beziehung nicht das Produkt eines Zufalls 
ist, sondern die Folge einer vieltausendjährigen 
Entwicklung, die letzten Endes aus der persön 
lichen Verschiedenheit der Menschen erklärt werden 
muß. Und zwar aus der körperlichen wie aus der 
geistigen Verschiedenheit. Denn daß eben das Pri 
vateigentum sich durchsetzen konnte, zeugt dafür, 
daß stärkere Elemente schwächeren und schwachen 
gegenüberstanden. Es liegt ja in der Natur des 
Kampfes, daß man den Gegner herabzusetzen sucht, 
aber es ist klar, daß man ihn dadurch nicht schwächt. 
Der Schwache tröstet sich mit der moralischen Ent 
spannung vielmehr sehr häufig auch heute noch 
über den Mangel an eigener Kraft und an eigener 
Initiative. Wenn heute die starke Überlegenheit 
einer großen Anzahl von Privatwirtschaften über 
das Gros der anderen besteht, so ist sicherlich das 
eine gewiß, daß schon in den frühesten Zeiten der 
menschlichen Wirtschaft von einer Gleichheit der 
Menschen in Beziehung auf ihre wirtschaftliche 
Betätigung nicht die Rede sein konnte. Und je 
mehr sich erst die Ungleichheit herausgebildet hatte, 
desto unmöglicher wurde es bei der mangelnden 
Kenntnis der einzelnen über wirtschaftliche Dinge, 
einer auf eine weitere und stärkere Differenzierung 
hinauslaufenden Entwicklung entgegenzuwirken. 
Auch heute würde unter Voraussetzung ganz glei 
cher Bedingungen der Kampf der Individuen sehr 
schnell wieder zu einer Differenzierung der wirt 
schaftlichen Erfolge führen, was nicht ausschließt, 
daß der Kampf um eine andere Verteilung der 
Arbeitslast und um eine andere Verteilung des 
Arbeitsertrages weiter gekämpft wird. Der wirt 
schaftliche Kampf schließt aber keineswegs Ruhe 
zustände zwischen kämpfenden Wirtschaften und 
Organisationen aus, sondern der Kampf macht sie 
sogar notwendig. Einmal zwingt der gemeinsame 
Kampf gegen die Natur zu längerer oder kürzerer 
Verträglichkeit, sodann nötigen stärkere Gegensätze 
zur Überwindung schwächerer Gegensätze. Gegner, 
die sich für gewöhnlich befehden, schließen sich 
unter Umständen für längere Zeit zusammen, um 
einen dritten gemeinsamen Gegner zu bekämpfen. 
Die Gemeinsamkeit der Interessen führt sogar in 
sehr weitgehendem Maße zu Verträglichkeit und 
zur Abschwächung der Gegnerschaft. Die Trans 
aktionen auf den verschiedenen Märkten erfolgen 
nach Ordnungen, die eine friedliche Abwicklung 
der Verkehrsbeziehungen gewährleisten. Nur darf 
man nicht übersehen, daß auch bei dieser fried 
lichen Abwicklung die Stärkeverhältnisse der in 
Frage kommenden Wirtschaften sich nicht verleug 
nen lassen, d. h. der Stärkere dem Schwächeren 
gegenüber eben der Stärkere bleibt. Oder wenn 
zwei unter ganz gleichen rechtlichen Voraussetzun 
gen einen Vertrag schließen, so wird sich doch die 
wirtschaftliche Verschiedenheit der beiden Kontra 
henten nicht eliminieren lassen, sondern sie wird 
sich in der Gestaltung oder in der Wirkung des 
Vertrages mehr oder weniger deutlich ausdrücken. 
Diese Ruhezustände sind aus der Gemeinsamkeit
	        
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