VI. Kapitel.
derartigen Lage die nicht durch Anspruch begründet wurde und
nicht die Möglichkeit dafür bietet, daß der jemanden betreffende
[nteressengesamtzustand durch eines Anderen Erfahrung besonderen
Verhaltens jenes „Jemand“ verschlechtert wird. So frägt etwa jener,
der krank ist: „Was soll ich tun?“ und behauptet mit dieser Frage
seinen Wunsch, zu wissen, wie er „weiteres Kranksein“ verhindern
könne und es antwortet etwa der Gefragte: „Sie sollten ausspannen!“,
womit er meint, es bestehe eine Lage, kraft welcher weiteres „Arbeiten“
des A seinen Gesundheitszustand weiter verschlechtern würde. Durch
die letztere Erweiterung des Sinnes des Wortes „Sollen“ gelangt man
denn auch dazu, „Gesolltes“ als „Richtiges“ schlechtweg zu deuten.
Wenn man aber nicht klar weiß, was der eigentliche und ur-
sprüngliche Sinn des Wortes „Sollen“ ist, muß man allerdings in
Verlegenheit geraten, zu erklären, wieso es zu derart verschiedenem
Sinne gelangt ist, während sich mit jenem klaren Wissen jene Erklä-
rung‘ sehr leicht und ungezwungen ergibt, da eben der Sinn des Wortes
„Sollen“ von seinem eigentlichen und ursprünglichen Sinne aus in zwei-
facher Richtung erweitert wurde, Aus der Unklarheit des Wissens
um das Gegebene „Sollen“ erklärt es sich aber, daß das bis zum Über-
drusse häufig gebrauchte Wort „Sollen“ in geheimnisvolle Sinnnebel ge-
taucht und dann zum Bausteine mächtiger Dichtungen verwendet wurde,
zu welchen Unternehmungen insbesondere ein berühmter „Erkenntnis-
kritiker“ durch seine unglückselige Antithese von „Sein“ und „Sollen“
angetrieben hat. Indes ist „Sein“ nichts anderes als „Welt“, „Wirklich-
keit“, d. i. die Gesamtheit der Wirkensverkettungen, „Sollen“ hingegen
nichts anderes als besondere Lage, in welcher sich besondere Allgemeine
finden, die als grundlegende Bedingungen für weitere Wirklichkeit in
Betracht kommen. Sagt also jemand in besonderem Zeitpunkte „Das
ist“ und „Jenes soll sein“, so meint er mit der ersteren Rede: „Das
findet sich gegenwärtig in der Welt“, mit der zweiten Rede aber: „Es
Endet sich gegenwärtig in der Welt besondere Möglichkeit dafür, daß
durch das Gegenteil jenes Verhaltens jemandes Interessengesamtzustand
verschlechtert wird“. Das, was gegenwärtig „sein soll“, „ist“. aller-
dings gegenwärtig‘ nicht und wird vielleicht auch niemals sein, aber es
gibt keine „Welt des Sollens“, die eine andere Welt wäre, als die
„Welt des Seins“, mit jedem Soll-Urteile wird vielmehr über gegen-
wärtig in der Welt Vorhandenes ausgesagt, dem solches identisches
Allgemeines zugehört, das sich als identische grundlegende Bedingung
in besonderer „identisch begründeter Wirkenszusammengehörigkeit“
findet. „Wirklichkeit“ und „Möglichkeit“ sind eben zwei ver-
schiedene Gegebene, aber sowohl in der „Wirklichkeit“ als auch in der
„Möglichkeit finden sich Besonderheiten „identisch begründeter Wir-
kenszusammengehörigkeiten“, wer nicht um „Wirklichkeit“ weiß, kann