Full text: Allgemeine Gesellschaftslehre

Die Macht. 
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auch nicht um „Möglichkeit“ wissen. Daß es keine Antithese einer 
„Welt des Seins“ und einer „Welt des Sollens“ gibt, zeigt sich schon 
klar aus der Erwägung des Umstandes, daß der Satz: „Ich bin“ für 
sich einen Sinn hat, hingegen der Satz: „Ich soll“ für sich keinen 
Sinn hat. Mit dem Satze: „Ich bin“ sagt jemand aus, daß er sich in 
der Welt, in der Gesamtheit der Wirkensverkettungen, findet. Hingegen 
kann jemand sinnvoll nur sagen: „Ich soll etwas tun oder unter- 
lassen“, und mit solchem Satze liegt dann ein „Möglichkeitsurteil“ 
vor, aber keineswegs etwa ein Urteil über die Möglichkeit der „Ich“ 
genannten Seele oder des „Ich“ genannten Menschen oder über die 
Möglichkeit jenes Tuns oder Unterlassens, sondern ein Urteil über die 
durch besonderen Anspruch begründete Möglichkeit, daß durch jenem 
Tun oder Unterlassen entgegengesetztes Verhalten des „Ich“ ge- 
nannten Menschen dessen Interessengesamtzustand verschlechtert wird. 
Mit der Antithese von „Sein“ und „Sollen“ ist also nicht im mindesten 
erklärt, was eigentlich das Gegebene „Sollen“ ist, und da man lieber 
mit Worten dunklen Sinnes umherwirft, statt Gegebenes nüchtern zu 
zergliedern, ist das Wort „Sollen“ zu einem geheiligten Fetischworte 
geworden, das stets mit den Worten „Ideal“ und „Metaphysik“ auftritt. 
Jedes „Sollen“ stellt sich nun ferner als eine Lage dar, welche 
die Möglichkeit dafür bietet, daß auf besonderem Wege ein auf 
den „Soller“ bezogener Unwert verwirklicht wird, nämlich durch Er- 
fahrung besonderer vom „Soller“ verschiedener Seele, welche wir den 
„Ansprucherfüllungs-Wahrer“ genannt haben, von besonderem Verhalten 
des Sollers, welche Erfahrung in Beziehung zu seinem Wissen, daß 
gegen den „Soller“ ein Anspruch auf entgegengesetztes Verhalten er- 
hoben wurde, als grundlegender Bedingung, als wirkende Bedingung 
dafür in Betracht kommt, daß der Ansprucherfüllungs-Wahrer Unlust 
gewinnt, in deren Gegenständlichem sich die „Anspruch-Enttäuschung“ 
findet, In den „Gründen“ jedes „Sollens“ (jeder „Soll-Lage“) findet 
Sich also stets Wissen besonderer Seele — des „Ansprucherfüllungs- 
Wahrers“ — darum, daß gegen den „Soller“ ein Anspruch erhoben 
wurde, und überdies auch „Empfänglichkeit“ des „Sollers“ für jenen Un- 
wert, für dessen Verwirklichung das „Sollen“ die Möglichkeit bietet, 
mit welcher „Empfänglichkeit“ allein eben jemand „Soller“, d. h. Be- 
zogener eines „Sollens“ sein kann. In jeder „Soll-Folge-Verwirk- 
lichung“, d. h. in jeder Verwirklichung eines Unwertes, für welche 
ein „Sollen“ die Möglichkeit bietet, findet sich also stets „Erfahrung 
des Ansprucherfüllungs-Wahrers von besonderem Verhalten des Sollers“ 
als wirkende Bedingung für die Verwirklichung eines auf den Soller 
bezogenen Unwertes, im übrigen aber kann die „Soll-Folge-Verwirk- 
lichung“ sich in Wirkensverkettungen verschiedener Art darstellen, 
nämlich entweder a) in einer Wirkensverkettung zwischen Erfahrung 
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