Full text: Allgemeine Gesellschaftslehre

A she 
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VI. Kapitel. 
sinnung‘ zu, sondern Unlust daran, daß seine spätere Erfahrung, 
ar habe die Sache nicht zurückgegeben, die wirkende Be- 
lingung dafür abgeben wird, daß ihm kraft „Gewissens“ 
‚sittliche Reue“ zugehörig wird. Es kann also jemand nur dann auf 
Verhinderung späteren Gewinnes eigener „sittlicher Reue“ zielen, 
wenn er weiß, daß er in seinem gegenwärtigen Verhalten nicht 
‚sittlich gesinnt“ ist. So sagt z. B. etwa A: „Ich habe zwar gegen- 
wärtig eigentlich keine Lust, das für B zu tun, aber ich will es doch 
tun, damit ich mir nicht vielleicht später Vorwürfe mache“ oder „Ich ärgere 
mich zwar, daß B durch mich diesen Vorteil erlangt, aber ich werde 
as doch tun, sonst könnte ich später Gewissensbisse haben“. „Verhalten 
aus Pflicht“, „Verhalten aus Furcht vor dem eigenen Gewissen“, „Ver- 
halten aus Angst vor Gewissensbissen“ ist eben niemals „Verhalten 
mit sittlicher Gesinnung“, also auch niemals „sittliches Verhalten“ und 
jas Gegebene „Sittlichk eit“ kann weder aus dem Gegebenen „Pflicht“, 
noch aus dem Gegebenen „Gewissen“ erklärt werden. Verwendet 
man den Gedanken an das Gegebene „Pflicht“ als Grundlage der Be- 
stimmung des Gegebenen „Sittlichkeit“, so gerät man immer wieder 
auf das Gebiet der „Gebotethik“ und kann die verfehlte Bestimmung 
nur dadurch scheinbar rechtfertigen, daß man die sogenannten „sitt- 
lichen Normen“ als „autonome Normen“ deutet, d. h. eigentlich als Ge- 
bote, die jemand an sich selbst richtet. So geheiligt also auch das 
Dogma ist, ohne „Pflicht“ gäbe es keine „Sittlichkeit“, hat man doch 
allen Anlaß, jenes Dogma ernstlich zu prüfen und zu erwägen, ob man 
nicht das Gegebene „Sittlichkeit“ verfälscht, wenn man es mit dem 
Gegebenen „Pflicht“ zusammenkoppelt. Nicht mit Unrecht sagt man 
ja auch, daß jeder, der mit sittlicher Gesinnung handelt, „sich selbst 
verleugnet“, „sich selbst überwindet“, „seine eigenen In- 
teressen hintanstellt“, „nur um des Anderen willen han- 
delt“ usw., mit welchen Reden der Sachverhalt gekennzeichnet wird, 
daß der mit sittlicher Gesinnung Handelnde lediglich nach solcher Lust 
strebt, deren Gegenständliches ein auf den Anderen bezogener Wert 
ist, in deren Gegenständlichem sich also eigenbezogene Werte nicht 
finden. Jener aber, der „aus Pflicht“ handelt, „verleugnet nicht sich 
selbst“, „überwindet nicht selbst“, „stellt nicht seine eigenen Interessen 
aintan“, handelt nicht bloß „um des Anderen willen“, da er nach solcher 
Lust strebt, deren Gegenständliches die Verhinderung der 
Verwirklichung eines auf die eigene Seele bezogenen IJn- 
wertes ist. 
Sagen wir aber, daß der Gedanke an „Pflicht“ keine Grundlage 
wahrer Bestimmung des Gegebenen „Sittlichkeit“ sein kann, so ist da- 
mit keineswegs gesagt, daß sich überhaupt ein Gegebenes „Pflicht“ 
nicht findet. daß also das Wort „Pflicht“ ein sinnleeres Wort ist. Es
	        
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