Full text: Die drei Nationalökonomien

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wollen keine Stubengelehrsamkeit, keine Antiquitätenkrämerei, kein 
„totes‘“ Wissen. Wenn nur die Wendung nicht gar zu unbestimmt 
wäre und zu Mißdeutung so leichten Anlaß böte! Wir möchten so 
gern genau erfahren, was das eigentlich heißt: „dem Leben dienen“. 
Welchem Leben?” Einem beliebigen, so daß auch der heutige 
lärmende „Betrieb“ in Politik, Wirtschaft, Verkehr, Literatur, Ge- 
sellschaft dazu gehörte? Nietzsche hätte sich sicher von ihm mit 
ebensolchem Ekel abgewandt wie von dem Getriebe seiner Zeit. Es 
soll doch wohl ein wertvolles Leben sein, dem gedient wird, ein Leben 
vor allem, in dem der Geist waltet und nicht die rohe Kraft. Sonst 
wäre ja die Pflege des Boxsportes höchstes Ziel. Und muß das wert- 
volle Leben immer nur aus „Taten“ bestehen? Ist die Vita con- 
templativa nicht mindestens ebenso berechtigt als die Vita activa? 
Ist sie nicht auch „Leben“? Und müssen Taten immer nur un- 
geistige sein? Müssen sie immer nur in der Einbringung von Gesetz- 
entwürfen, Herstellung von Motorrädern oder Erzielung von Sport- 
„Rekords‘“ bestehen? Ist die wissenschaftliche F orschung neben der 
philosophischen Lehre und der Schaffung eines Kunstwerks nicht auch 
„Tat“? War es richtig, Weisheit und Leben in einen Gegensatz zu 
stellen? Und vor allem: soll es sich um das Leben Weniger handeln 
oder um das der Masse, der Nietzsche bekanntlich wünschte, daß sie 
„der Teufel und die Statistik“ hole? Aber wenn man Nietzsches Be- 
trachtungen über die Gefahren der „Geschichte“ für ein Volk liest, 
meint man, dieses bestehe nur aus Universitätsprofessoren und Stu- 
dienräten. Denn schließlich wird doch nur deren „Tatkraft‘“ durch ein 
Übermaß des geschichtlichen Wissens gelähmt, während die über- 
wiegende Mehrzahl der Angehörigen jedes Volkes sein Leben lebt, 
>hne je mit einer Wissenschaft in Verbindung zu kommen. 
Will man den Worten: „die Wissenschaft soll dem Leben dienen“, 
sinen Sinn geben und gerade nicht darunter verstehen, daß man mit 
ihren Ergebnissen „praktisch‘* etwas anfangen kann, so kann es nur 
bedeuten: daß die Wissenschaft dazu beitragen solle, das Leben 
weniger Einzelner voller, reicher, harmonischer zu gestalten. Das 
vermag sie gewiß, aber sicher nur, wenn sie selbst — „lebendig“ ist, 
das heißt lebendigen Stoff in lebendiger Darstellung lebendigen
	        
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