36
genügend bewußt, oder zieht daraus nicht die
Konsequenzen. Oesterreich-Ungarn muß heute
alle Kräfte anspannen, um nicht ins Hintertreffen
zu kommen. Es ist fast beleidigend, wie man
in den Kreisen hoher deutscher Beamten, die
mit dem auswärtigen Dienst zu tun haben, über
Oesterreich - Ungarns Wirtschaftspolitik spricht.
Das gleiche gilt von den Chefs der großen Ban
ken. Wie durch Kooperation der Armee mit der
übrigen Bevölkerung dem einigermaßen abzuhelfen
wäre, wird eine von Tag zu Tag drängendere
Frage. Je größere Ansprüche die Armee im In
teresse der Monarchie stellt, desto mehr wird sie
unwillkürlich dazu gedrängt, sich mit der Gesamtbe
völkerung eins zu fühlen, deren Sorgen und
Nöten möglichst genau kennen zu lernen und an
ihrer Beseitigung, soweit es an ihr ist, mitzu
wirken.
Durch Eingriffe der Armee in sozialpolitischer
und wirtschaftspolitischer Richtung würden auch
manche Gegensätze schwinden, die heute im An
wachsen begriffen sind. Es ist zweifellos möglich,
daß die Armee ihre Stärke durch eine Art Hyper
trophie erhöhen kann, aber dauernd kann sie nur
ein kraftvolles Organ des Staates sein, wenn
sie der gesamten Organisation
angepaßt ist. Ihre größte Förderung erfährt
sie dann durch die Stärkung des Gesamtorga
nismus, wie wir dies z. B. in Deutschland beob
achten können. Wo die Grenzen zu ziehen sind,
läßt sich freilich im Konkreten schwer fest
stellen.
Die Bemühungen, den gesamten sozialen
Körper zu einer regern Produktion anzutreiben,
werden zum Teil durch natürliche Eigenschaften
der Bevölkerung, zum Teil durch organisatori
sche Mängel gehemmt. Wie ich bereits zu Beginn
dieser ganzen Darstellung hervorgehoben habe,
leben wir in einer Ordnung, welche das Gespenst
der sogenannten Ueberproduktion fürchtet und
immer darauf losgeht, nur ja zu verhindern, daß
nicht so viel produziert wird, als man verzehren
könnte, da dadurch der Reingewinn sinken würde,
und damit auch die Entwicklungsmöglichkeit der
Industrie und Landwirtschaft. Wie dieser Orga
nisationsdefekt zu beseitigen wäre, ist eine viel
diskutierte Frage. Es ist nicht ausgeschlossen,
daß der während eines Weltkrieges aufs höchste
angespannte Rationalismus auch hier einen Aus
weg findet. Denn darüber kann wohl kein Zweifel
herrschen, der Staat, dem es während eines
Weltkrieges gelingt, alle vorhandenen produktiven
Kräfte aufs äußerste auszunützen, hat große Chan
cen für sich.
Ich will nun noch mit wenigen Worten die
Wirkungen des Krieges auf die Marktpreise be
rühren. Die einzelnen Warengruppen verhalten
sich ungleichartig. Während die Nahrungsmittel
preise leicht steigen können, dürften die Grund
stückpreise meist plötzlich sinken. Erfahrungs
gemäß ist der Grundstückmarkt in kriegerischen
Zeiten den Grundstückverkäufern sehr ungünstig.
Es wäre aber verfehlt, anzunehmen, daß auto
matisch die geringere Nachfrage nach Grund
stücken auch den Preis der Grundstücke senken
muß. Ich hatte während des Balkankrieges Ge
legenheit, in einigen Gegenden Syrmiens zu
erfahren, daß die Grundstückpreise trotz der
bedrohlichen Situation nicht gesunken waren, nur
wurden Grundstücke seltener als sonst gekauft.
Woher rührte diese Erscheinung? Die wohl
situierten Bauern dieser Gegenden hatten es nicht
unbedingt nötig, ihre Grundstücke zu verschleudern,
und erklärten, zuwarten zu wollen, bis der Preis
wieder in die Höhe gehe. Das heißt, im Kriegs
fall wird im allgemeinen bei konstantem Umsatz
von Grundstücken der Preis sinken, bei ab
nehmendem aber eventuell der Preis gleich
bleiben.
Während die Veränderung der Grundstück
preise im allgemeinen nur kleine Kreise der Be
völkerungtrifft, haben unter einer Erhöhung der Le
bensmittelpreise alle schwer zu leiden. Abgesehen
davon, daß infolge einer Absperrung der Zufuhr
effektiver Mangel eintreten kann, ist mit der An
sammlung von Vorräten durch die Armee und
durch Privatpersonen zu rechnen, insbesondere
aber mit den Bemühungen der Kaufleute, durch
spekulative Anhäufung von Reserven und da
durch erzeugte Preissteigerungen erhebliche Ge
winne zu erzielen. Der Umstand, daß dieNahrungs-
mittel von allen benötigt werden, legt der Re-
gierüng die Kontrolle über den Lebensmittelmarkt
überaus nahe.' Eine solche Kontrolle ist sowohl
im Interesse der Armee, als auch in jenem der
Zivilbevölkerung gelegen. Ich wies schon darauf
hin, daß der Staat die Möglichkeit hat, Preistaxen
zu erlassen, ln Oesterreich dient diesem Zwecke
eine Bestimmüng der Gewerbeordnung, deren
Anwendung bereits vor einiger Zeit ernstlich in
Erwägung gezogen wurde. Freilich bezieht sich
diese Bestimmung nur auf die Erlassung von
Preistaxen für den Kleinhandel. Aber es ist klar,
daß, wenn der Kleinhandel bestimmte Maximal
preise nicht überschreiten darf, er auf den Groß
handel drückt und ihn zur Herabsetzung der
Preise zwingt. In Serbien und Bulgarien wurden
während des Balkankrieges Preistaxen verhängt
und deren Durchführung zum Teile mit großer
Strenge erzwungen. Wir sehen auch auf diesem
Gebiet, daß der Staat im Kriegsfall eine größere
organisierende Kraft als im Frieden entfalten
dürfte, selbst wenn er nicht dazu schreiten sollte,
die Nahrungsmittel oder wenigstens die wichtigsten
derselben selbst zu verkaufen und sie dem Privat
umsatz ganz zu entziehen.
Mit wenigen Worten will ich den Einfluß der
Rüstungen und der Kriegsführung auf die Ver
kehrsmittel streifen. Wir sehen, daß in allen
Staaten ein nicht unerheblicher Teil der Eisen
bahnlinien entweder vorwiegend, aus strategischen
Gründen erbaut wurde, oder mindestens bei der
Errichtung auf strategische Momente Rücksicht
genommen wurde. Wenn Eisenbahnlinien nicht
allen strategischen Anforderungen entsprechen,