Full text: Wissenschaftlicher Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus und Bolschewismus

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des Marx sehen werden — die ganze Kultur der Menschheit, Kunst, Religion 
und Literatur, weiter nichts als der jeweilige Ueberbau der Wirtschaft und 
deren Reflex; ändert sich der Unterbau, so ändert sich naturnotwen- 
d i g mit blindem, ehernem Zwange, er mag wollen oder nicht, auch der 
Ueberbau. Der Primat der Wirtschaft über das gesamte menschliche Geistes 
leben ist unumstößliche Gewißheit und Elauenssatz des ganzen Marxismus, 
des wissenschaftlichen Sozialismus überhaupt und der ganzen Sozialdemo 
kratie. An diesem Dogma zu zweifeln ist Sünde gegen den heiligen Geist 
und ist so schwere Eralslästerung, daß sie nur mit dem schwersten Kirchenbann, 
mit der Ausstoßung gesühnt werden kann. Auf dem Boden dieses „histori 
schen Materialismus" stehen sie alle, die Radikalen wie die Reformisten, er 
ist die große Klammer, die das ganze Lehrgebäude stützt und die innerlich 
widerstrebendsten Elemente fest zusammenschweißt! Er ist die Bibel'des So 
zialismus und der (heutigen) Sozialdemokratie! Während Karl Marx auch — 
wie wir später noch sehen werden — von Hegelschen Gedanken ausging,, sich 
aber später in den denkbar schärfsten Gegensatz zu Hegel stellte, ist Lassalle 
sein ganzes Leben hindurch begeisterter Hegelianer geblieben. Ganz deutlich 
gibt er diese geistige Wurzel seines Wesens, diesen seinen geistigen Nähr 
boden kund in seiner Vorbemerkung zu dem „System der erworbenen Rechte" 
(S. XV Band 4 der von Erich Blum im Verlag von Karl Fr. Pfau-Leipzig 
herausgegebenen, 6 Bände umfassenden Gesamtausgabe der Werke Lassalles), 
„die Rechtsphilosophie als in das Reich des historischen Geistes, gehörend, 
hat es nicht mit logisch-ewigen Kategorien zu tun, sondern die Rechts 
institute sind nur die Realisation historischer Eeistesbegriffe, nur der Aus 
druck des geistigen Inhalts der verschiedenen historischen Volksgeister und 
Zeitperioden und daher nur als solche zu begreifen." Bei aller Ablehnung 
des Baues und der Architektonik der Philosophie Hegels in ihren Einzel 
heiten erklärt er dann im selben Vorwort auf derselben Seite, „die Grund- 
prizipien und ihre Methode" beizubehalten, „es ist immer dieselbe von Hegel 
getragene 'Fahne, die nur auf einem anderen Wege zum Siege geführt wer 
den soll. Es sind immer die Grundprinzipien und die Methode der Hegel 
schen Philosophie, die nur gegen Hegel Recht behalten." So war er ganz 
in schroffstem Gegensatz zu Marx Idealist durch und durch, felsenfest über 
zeugt von der selbständigen Existenz des Geistes, die Geschichte bedeutet ihm 
ganz.wie dem Meister Hegel die schrittweise Verwirklichung des „Absoluten". 
Die allgemeine Quelle allen Rechts, sein Ausgangspunkt und seine Stütze ist 
nach Lafsalle das gemeinsame Bewußtsein des' ganzen Volkes, der allge 
meine Geist, ändert sich dieses allgemeine Bewußtsein, so ändert sich auch 
das aus ihm entflossene Recht. Eine Entschädigungspflicht für den Staat 
ist daher — eine heute besonders zeitgemäße Erinnerung — bei grundlegen 
den Rechtsänderungen nicht anzuerkennen, das Sonderinteresse und das 
Sonderbewußtsein muß sich aber dem geänderten allgemeinen Bewußtsein 
und der hierdurch bedingten Rechtsumgestaltung fügen! Welcher grandiose 
Unterschied zu Marx, bei dem das Recht nicht ein Ausfluß des allgemeinen 
Geistes, sondern der Diener der jeweiligen Wirtschaft ist. 
Unter Anwendnug dieser grundlegenden Gedanken auf die Institution 
des Erbrechts zeigt nun Lassalle, wie das römische Erbrecht der Un 
sterblichkeitsidee des römischen Volksgeistes entsprungen sei, der Testaments-
	        
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