Full text: Wissenschaftlicher Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus und Bolschewismus

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Pflicht eingeführt, zunächst für Personen mit mehr als S00 Rubel monatliches 
Einkommen, später für alle. Die Arbeiter erhalten ihren Lohn nicht in 
Geld, denn dieses wird völlig beseitigt, sondern durch Zuweisung eines Ar- 
beitskonsumbüchleins, unter dessen Vorlegung er laut der von ihm verrich 
teten dort eingetragenen Arbeit die von ihm benötigten Waren erhält. All 
gemeine Arbeiterkataster dirigieren das Riefenheer der Arbeiter von der 
Zentrale an die einzelnen Arbeitsplätze in Industrie, Handel und Landwirt 
schaft. Spekulation und Handel werden gänzlich ausgeschaltet, die „regel 
mäßige Verteilung des Produkts erfolgt auf Grundlage einer Regiftration 
der Bedürfnisse und Vorräte" (man denke an die Verteilung der rationierten 
Lebensmittel durch unser Kartensystem in Deutschland). Zwecks Durchfüh 
rung dieser Verteilung wird die Bevölkerung allenthalben in „Konsum- 
kommunen" gusam'mengeschlossen. Die Einzelhauswirtschaft wird zwecks bes 
serer Verteilung und Befreiung der Frau von ihrer Haussklaverei aufge 
hoben, an ihre Stelle tritt die soziale Hauswirtschaft, die Zentralküche. 
Auch die Hauseigentümer werden enteignet, und zwar ohne jede Entschädi 
gung. Die Arbeiterräte ergreifen von den Häusern Besitz, sie registrieren die 
Häuser und Wohnungen und verteilen sie nach Vertreibung der bisherigen 
Hauseigentümer je nach Bedarf. Zuletzt soll auch der auswärtige Handel 
vergesellschaftet werden. Kein Russe darf mehr mit ausländischen -Kapi 
talisten Handelsgeschäfte abschließen. Den ganzen Handel betreibt die Sow 
jetrepublik. Diese Programmforderungen sind größtenteils verwirklicht, 
durch Dekret vom 17. Dezember 1917 wurden zuerst die..Banken nationalisiert, 
zuletzt durch Dekret vom 28. Juni 1918 die gesamte Industrie, auch der 
Handel, der binnenländische sowohl wie der ausländische ist verstaatlicht. 
Zu einem guten Teil ist aber die Durchführung der „Sozialisierung" nur 
auf dem Papiere stehen geblieben, man sah sich genötigt, der verhaßten pri 
vatkapitalistischen Wirtschaftsordnung ganz bedeutende Zugeständnisse zu 
machen. Hochinteressant' sind hierüber die Ausführungen Lenins in seinem 
dem allrussischest zentralen Vollzugsausschuß der Arbeiter-, Soldaten-, 
Bauern- und Kreisdeputierten erstatteten Bericht: „Die nächsten Aufgaben 
der Sowjet-Macht", dem dieser in seiner am 29. April 1918 gefaßten Reso 
lution rückhaltlos beistimmte. Da lesen wir (S. IS flg.), daß ohne die An 
leitung von Fachleuten der verschiedenen Zweige des Wissens, der Technik, 
der Erfahrungen, der Uebergang zum Sozialismus unmöglich fei, „wir muß 
ten daher zu dem alten bürgerlichen Mittel greifen, und auf eine sehr 
hohe Bezahlung der Dienstleistungen der größten unter den bürger 
lichen Fachleuten eingehen ... Es ist klar, daß solch eine Maßnahme ein 
Kompromiß ist, ein Abrücken von denPrinzipien derPariser 
Kommune und jeder proletarischen Macht, die eine Gleich 
stellung der Gehälter mit der EntlöhnUng eines Durchschnittsarbeiters ver 
langen . . . Gehälter von 2S 000 Rubel für Sterne erster Größe seien nicht 
zu hoch und" müßten unbedingt bezahlt werden. Interessant ist auch das sehr 
wichtige Zugeständnis, das Lenin den' Eenofsenfchqften und Konsumvereinen 
auch deU bürgerlichen gemacht hat, die Sowjetmacht verzichtete auf das Recht 
des unentgeltlichen Eintritts in eine Genossenschaft, „das einzige konsequent 
proletarische Prinzip", wie auch auf die Vereinigung der gesamten Bevölke 
rung einer gegebenen Oertlichkeit in eine einzige Genossenschaft. Sie mutzte
	        
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