11
die Fürsorge in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit nahm, brachte
dem Krüppel keine Erleichterung. Die nachreformatorische Zeit bis
zum 19. Jahrhundert führte zu einem gewaltigen Ausbau der vor-
handenen Fürsorgeeinrichtungen. Immer neue Gebiete werden in An-
griff genommen, nur von einer Krüppelfürsorge weiß die Geschichte
der Liebestätigkeit in dieser Periode nichts zu berichten. ~ Erst im
4. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts finden wir in Deutschland die
ersten Anfänge einer Krüppelfürsorge, die dann in den letzten Jahr-
zehnten planmäßig ausgebaut und vertieft wurde. Um eine möglichst
knappe Übersicht geben zu können, stellen wir die Entwicklung nach
den einzelnen Trägern der Fürsorge dar, wobei das chronologische
Verfolgen der Entwicklungslinie uns zuerst auf die konfessionelle Für-
sorge führt, der dann um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert die
humanitäre und staatliche sich anschließen.
1. Die katholische Krüppelfürsorge.
Die ersten Anfänge finden wir in München, wo im Jahre 1832
der ehemalige Konservator an der Universität Johann Nepomuk
Edler von Kurz vor dem Isartore in einigen nur dürftig eingerichteten
Räumen wenige Knaben sammelte, für deren gewerbliche Ausbildung
sich kein Meister finden ließ. Sein Streben ging dahin, den Krüppel-
knaben zu irgendeinem Beruf zu verhelfen. Dazu sollte seine Er-
ziehungs-, Unterrichts- und Bildungsanstalt dienen, die schon im fol-
Jenden Jahre als „Handwertkersschule für verkrüppelte Kinder“ sich der
staatlichen Aufsicht unterstellte, aber doch ihren Charakter als privates
Unternehmen wahrte.
1844 übernahm der Staat diese Einrichtung und schuf als „Kö-
nigliche Zentralanstalt für Erziehung und Bildung krüppelhafter Kin-
der“ eine neue Anstalt, die 1914 mit einem großen Neubau vertauscht
und durch eine besondere medizinische Abteilung erweitert wurde. Die
Entwicklung der Münchener Anstalt war eine sehr günstige. Das hatte
dur Folge, daß in Süddeutschland die ersten Entwicklungen für Krüp-
Velfürsorge entstanden.
So legte bereits 1840 der Pfarrer Gustav Werner den Grund zu
seiner „Gustav Werner-Stiftung“ in Reutlingen (Württemberg), 1841
9ründete ebenfalls in Württemberg der Arzt A. H. Werner eine Kin-
derheilanstalt in Ludwigsburg, von der mehrere Filialen zur ärztlichen
Behandlung und gewerblichen Ausbildung skrophulöser Kinder er-
richtet wurden. 1845 erfolgte unter dem Protektorat Paulines von
Vürttemberg in Stuttgart die Gründung der Armenheilanstalt „Pau-
inenhilfe". In dieser letzteren Anstalt wurde bewußt der Gedanke
verfolgt, durch ärztliche, insbesondere orthopädische Hilfe dem Krüppel
zu dienen. Diese ersten schnell aufeinander folgenden Gründungen