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III. Abschnitt.
der schiffbaren Strecken, so zeigt sich die Wirkung des Flutstromes auf die Be
nutzbarkeit des Unterlaufes für größere Schiffe auf das klarste. Von den zum
Wasserstraßengebiet der Ostsee (ohne das Frische Haff, aber einschließlich der
märkischen Wasserstraßen) gehörenden 5299 km schiffbarer Fluß- und Kanallängen
haben nur 2,2 vom Hundert der Gesamtlänge eine Mittelwassertiefe von 4—5 m,
tiefer als 5 m sind von dieser großen Länge, sogar einschließlich des Oderhaffs, nur
etwa ebenso viel Prozent. Von den der Nordsee tributpflichtigen 7569 km (ein
schließlich des Kaiser-Wilhelm-Kanals) haben eine Fahrwassertiefe bei Mittelwasser
von mehr als 5 m dagegen 9,6 vom Hundert, wobei zum besseren Verständnis betont
werden mag, daß diese sich fast ausschließlich auf die an der Flutwelle beteiligten
Stromgebiete verteilen, während auf den Rhein nicht mehr als als 3,5 km entfallen.
Selbst die keineswegs wasserreiche Weser ist mit mehr als 10, das Elbegebiet sogar
mit mehr als 22 vom Hundert der schiffbaren Gesamtlängen an diesen sehr be
trächtlichen Fahrwassertiefen beteiligt. Ja, noch mehr, die Ems und die kleinen
Küstenflüsse zwischen dieser und der Weser übertreffen die Weichselmündung mit
der Länge der für tiefer gehende Seeschiffe zugänglichen Strecken um das Zehnfache 1
Wie wir in dem Auftreten eines stärkeren Gezeitenstromes einen
für die Binnenschiffahrt im Unterlauf von Strömen höchst bedeut
samen und günstigen Einfluß erkennen müssen, so gehört in
einzelnen Fällen auch der Wind zu den wichtigsten
Faktoren des neuzeitigen Wasserverkehrs. Selbstver
ständlich nicht nur in dem seit Urzeiten bekannten
Sinne des Kraftspenders für die Bewegung der Schiffe,
sondern in einer ganz anderen, die Wasserstände be
einflussenden Wirkungsweise. Der Wind spielt in diesem
Sinne eine Rolle sowohl in ungünstiger wie in günstiger Richtung.
Während z. B. die großen Seen Mittelrußlands als natürliche Re
gulatoren des Wasserstandes (vgl. das oben darüber Gesagte) die
günstige Folge zeitigen, daß z. B. in der Newa das Frühlingshoch
wasser fast gar nicht zur Entwicklung gelangt, sind in Petersburg
anhaltende starke Seewinde die alleinige Ursache von Ueberschwem-
mungen. Hier kann man die größeren von ihnen stets in der Zeit
beobachten, in der die Westwinde mit besonderer Kraft wehen, d. h.
von Ende August bis in den Dezember.
Für die günstigen Einwirkungen des Windes auf den Wasser
stand haben wir ein vorzügliches Beispiel in den Verkehrsverhält-
nissen unserer größten deutschen Hafenstadt. Die Wasserführung
der Elbe würde selbst im Verein mit der in ihrer Mündung tief
landeinwärts dringenden Stauwelle der Meeresflut nicht genügen, dem
Strome den tatsächlich vorhandenen Grad der Benutzbarkeit zu sichern.
Da aber die vorherrschenden Winde ein weiteres Aufstauen des
Wassers bewirken und die mittlere Windrichtung mit der mittleren
Richtung des Mündungstrichters so ziemlich zusammenfällt, so ergibt
sich daraus als unmittelbare Folge eine weitere Erhöhung des Wasser
spiegels. In Perioden länger anhaltender Ost- und Südostwinde nimmt
die Fahrwassertiefe dagegen so sehr ab, daß die Großschiffahrt bis
weilen eine ganze Reihe von aufeinander folgenden Tagen darunter zu
leiden hat. Ein unwiderleglicher Beweis für die Bedeutung, die dem
Winde als einer in bestimmten Fällen den Wasserstand beeinflussenden
Kraft zukommt. Es wäre von großer Bedeutung, die Ein
wirkung dieses Faktors namentlich in den Gegenden
regelmäßiger Jahreszeitenwinde festzustellen, da von
ihrer Einwirkung unter allen Umständen auch die
Brauchbarkeit der den betreffenden Erdgegenden an
gehörenden Häfen und Mündungsrinnen in hohem
Grade abhängt.