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und aufzuziehen imstande sind, ginge der Gefahr des
Ruins entgegen. Für die moderne Frau lautet das Gebot
nicht mehr einfach: „Du sollst Kinder gebären“, sondern
vielmehr: „Du sollst nicht mehr Kinder gebären, als du
ordentlich erhalten und erziehen kannst“. Die Frau, die
heute mit zwölf Kindern vor dem Tor des Werkhauses
oder vor der Ärmenbehörde erschiene und für sich und die
Kinder anständigen Unterhalt fordern würde als Entgelt
ihrer Leistung, die Kinder zur Welt gebracht zu haben,
würde kaum viel Gehör finden. Und der moderne Mann,
den man heute an seinem Hochzeitstag den guten Wunsch
von ehedem darbringen würde, er möge Vater von zwan
zig Söhnen und zwanzig Töchtern werden, würde dies eher
als Fluch, denn als Segensspruch betrachten. Es ist sicher,
daß die Zeit herannaht, da Kindergebären nicht mehr als
eine Leistung an sich angesehen wird, die unter allen Be
dingungen für die Gesellschaft von Vorteü ist, sondern
vielmehr als ein hohes Privileg, das nur jenen zukommt,
die ihre Fähigkeit beweisen, ihre Sprößlinge rechtschaffen
zu erziehen und zu versorgen.*
* Die Verschiedenheit zwischen den primitiven und modernen Anschau
ungen über diesen Gegenstand wird treffend und eigenartig durch fol
gende zwei Vorfälle beleuchtet. Einst begegnete mir ein Bantu-Weib, das
besser erhalten, weniger abgearbeitet und glücklicher als die Mehrzahl
ihrer Genossinnen aussah. Auf meine Erkundigung erfuhr ich, daß sie
zwei Brüder habe, die impotent wären, und deshalb hatte sie selbst nicht
geheiratet, aber vierzehn Kinder, die sie mit verschiedenen Männern ge
zeugt, hatte sie alle, so wie sie erwachsen waren, den Brüdern geschenkt.
„Sie haben mich lieb, weil ich ihnen soviel Kinder geschenkt habe;
darum brauche ich nicht zu arbeiten wie die andern Weiber, und die
Brüder geben mir reichlich Nahrung und Milch,“ erzählte sie selbstzufrie
den, „und unsere Familie wird nicht aussterben.“ Diese Person, deren
Lebensführung vom modernen Standpunkt betrachtet, so entschieden
antisozial war, wurde offenbar als höchst wertvoll für ihre Familie und
Gesellschaft bloß um ihrer Fruchtbarkeit willen angesehen. — Als Gegen
satz hierzu: Vor einigen Wochen stand in den Londoner Blättern von
einem Frauenzimmer, das in Eastend wegen irgendeines Vergehens auf
gegriffen wurde und vor Gericht schluchzend vorbrachte, daß sie Mutter
von zwanzig Kindern sei. „Schämen Sie sich nicht,“ rief der Richter,