Full text: Das Ich und der Staat

III. Zwischen Schulpflicht und Bürgerpflicht 
Das deutsche Ich männlichen Geschlechts noch fernerhin durch 
die allgemeine Wehrpflicht zum Reichsbürger zu erziehen, ist uns 
durch das Versailler Diktat verboten. Die ganze Schwere der Ver- 
antwortung für die reichsbürgerliche Erziehung fällt damit der 
Schule zu. Es fragt sich aber doch, ob wir uns die Rolle, die die 
allgemeine Wehrpflicht in der Erziehung zum Staatsbürger bisher 
gespielt hat, einfach wollen streichen lassen, ohne auf Ersatz zu 
sehen. Und diese Frage erhebt sich um so dringlicher, als das Reich 
bisher ja noch nichts, rein gar nichts unternommen hat, um die 
Erziehung des Ichs in der Schule so zu gestalten, daß die das Er- 
gebnis der militärischen Erziehung, die Bindung an den Reichs- 
gedanken, einigermaßen ersetzen könnte. 
Es würde zu weit führen, hier zu untersuchen, was es auch 
volkswirtschaftlich bedeutet hat, daß der alte Staat 6800 000 der 
kräftigsten Händepaare dem freien Arbeitsmarkt entzog und zu 
„nproduktiver“ Arbeit ~ nämlich zur Verteidigung von Ehre und 
Freiheit der Staatspersönlichkeit ~ nötigte. Das eine wird man 
aber ohne lange Untersuchung sagen dürfen; der Wegfall dieser 
Ausschaltung ist gleichbedeutend mit dem Wegfall einer Hemmung, 
die dem nackten Erwerbstrieb angelegt war. Wobei nicht übersehen 
werden darf, daß für die Landesverteidigung nicht nur die Hände- 
paare des stehenden Heeres arbeiteten, sondern auch die Händepaare 
des gewaltigen Heeres derer, die in der Rüstungsindustrie tätig 
waren. Die Riesensumme an Arbeit, die im alten Staate für die 
Landesverteidigung aufgespart wurde, wird im Staat von heute, 
bis auf einen geringen Rest, in den freien Wettbewerb geworfen. 
Die Gefahr, die darin liegt, ward aber erst ins Ungeheuerliche 
gesteigert durch die Unterwerfung unter das Versailler Diktat, die 
gleich einer Unterwerfung unter den Siegerkapitalismus zu setzen 
war. Denn der Siegerkapitalismus hat, in einem Anfall jenes 
Cäsarenwahnes, wie er dem hemmungslosen Kapitalismus nur zu 
leicht kommt, versucht, aus Deutschland eine Wirtschaftskolonie zu 
machen, will sagen, die deutsche Arbeit zu seinen Gunsten auszu- 
beuten. Um dem deutschen Volke die Möglichkeit jeden Widerstandes 
dagegen zu nehmen, hat er es mit Lasten bepackt, die niemals ab- 
getragen werden können, und wovon er jederzeit soviel glaubt ein- 
fordern zu können, wie es ihm für seine. Zwecke zuträglich erscheint. 
4.J
	        
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