Welche Krüppel gehören in ein Krüppelheim, welche in
ein Siechenheim?
Von Kreis-Kommunalarzt Dr. H. Kleine, Reklinghaujen.
Der § 9 des Gesetzes sagt, daß man unter einem Krüppel eine
Person versteht, die infolge eines erworbenen oder angeborenen De-
fektes im Gebrauch ihrer Glieder derart stark behindert ist, daß sie auf
dem gewöhnlichen Arbeitsmarkt ihren Lebensunterhalt nicht verdienen
kann. Für diese Person verlangt das Gesetz die Erwerbsfähigmachung.
Sie verlangt, daß ein Mensch, der bisher nur als Unterstützungs-
empfänger lebte, nun erwerbsfähig gemacht werden sdoll.
Zur Erwerbsfähigmachung gehört nun, daß der Krüppel soweit
von seinem Leiden befreit wird, daß er in einem Beruf ausgebildet
werden kann, der ihm seinen späteren Lebensunterhalt gewährleistet,
ferner, daß er während dieser Zeit eine genügende Schulausbildung
genießen kann. Die Erwerbsbefähigung soll in den Krüppelheimen
durchgeführt werden. Es muß also ein Krüppelheim aus einer Anstalt
bestehen, in der gleichzeitig nebeneinander Klinik, Schule, Berufs-
ausbildung und Berufsberatung bestehen, durch deren gemeinsame
Benutzung der Krüppel zur wirtschaftlichen Selbständigkeit gelangen
kann.
Welche Krüppel gehören nun in eine solche Anstalt?
Zunächst ist es ziemlich klar, daß ein Kranker, der an einem so
schweren Gebrechen leidet, daß er längere Zeit die Klinik besuchen
muß, ohne weiteres in eine solche Anstalt hineingehört.
Aber auch Krüppel mit einem geringfügigen Leiden können
heimbedürftig sein, wenn Jie in schlechten sozialen Verhältnissen leben,
z. B. solche Kranke, um die sich weder Eltern noch Verwandte beson-
ders kümmern, die infolge ihres Leidens mißachtet und geringer ge-
schätzt werden als die Gesunden, die in irgendeinem Winkel des
Hauses verkümmern und verkommen, die weder Schulausbildung noch
irgendwelche sonstige Anregung genießen; dann Krüppel, die weit
draußen auf dem Lande wohnen und infolgedessen nicht die Möglich-
keit haben, die Schule zu besuchen, da ihnen das Zurücklegen weiter
Schulwege infolge ihres Leidens unmöglich ist. Schon aus dem Vor-
hergesagten ergibt sich, daß die Heimbedürftigkeit ebenso verschieden
ist wie der Begriff des Krüppels selbst.