äußerlich gegeben, sondern innerlich vorhanden, ohne damit subjektiv
zu werden, eines inneren Seins, das zugleich objektiv überindividuell
und selbstevident ist, — bildet das Wesen des typisch russischen
Ontologismus. Er spiegelt sich auch natürlich in der russischen Reli-
giosität ab, oder vielleicht stammt aus ihr — ein Thema, das ich hier
nur im Vorübergehen berühre. Am besten dringen wir auch hier zum
Wesen der Sache durch Unterscheidung von anderen, eben westlichen
Formen der Religiosität. Das Hauptthema des Streites zwischen
Katholizismus und Protestantismus hat nicht nur infolge irgendwelcher
äußerer historischer Umstände das russische religiöse Bewußtsein un-
berührt gelassen; es blieb und bleibt ihm innerlich fremd infolge der
Unvereinbarkeit mit der ganzen Fragestellung. Das russische religiöse
Bewußtsein hat niemals darnach gefragt, ob der Mensch durch innere
Gesinnung und Glauben, oder durch äußere Werke zum Heil gelangt.
Beide Teile des Dilemmas scheinen ihm ein zu äußeres Verhältnis
des Menschen zu Gott, eine ungehörige Trennung zwischen Mensch und
Gott, vorauszusetzen. Weder die innere subjektive menschliche Ge-
sinnung allein kann im religiösen Sinne genügen, noch kann der
Mensch durch irgendwelche Werke in eine äußere Verbindung mit Gott
gesetzt werden; sondern nur Gott selber, und Er allein, indem er sich
des Menschen bemächtigt, wenn der Mensch sich in ihn versenkt, kann
den Menschen retten. Auch hat der berühmte augustinisch-pelagiani-
sche Streit um das Verhältnis zwischen Gnade und freiem Willen, der
bekanntlich eine so große Rolle in der Geschichte der westlichen Kirche
gespielt hat, niemals das russische religiöse Bewußtsein ernstlich be-
unruhigt. Denn dieser ganze Streit fußt eben auf einer gewissen
Trennung und Spannung zwischen Mensch und Gott, zwischen dem
subjektiv-innerlich-persönlichen und objektiv-äußeren überpersönlichen
Momente des Religionslebens, und eben diese Spannung ist dem russi-
schen metaphysischen Gefühle ganz fremd. Denn der ganze positive
Gehalt der Persönlichkeit stammt für ihn nur von Gott allein, und
wird dennoch nicht nur als eine äußere Gabe hingenommen, sondern
eben innerlich angeeignet. Sowohl der Individualismus der subjekti-
ven Innerlichkeit als auch der nur äußerlich überindividuelle Objekti-
vismus werden hier durch einen absoluten allumfassenden Onto-
logismus überwunden, in dem Sinne, in dem es auch bei Goethe heißt:
„Nichts ist innen, nichts ist außen — denn was drinnen, das ist
draußen.“ Nicht das Streben zu Gott, sondern das Sein in Gott bildet
das Wesen dieses religiösen Ontologismus aus.
Derselbe Zug äußert sich in sehr charakteristischer Weise auch in
der russischen Psychologie. Ohne in die Einzelheiten verschiedener
Lehren russischer Denker näher einzugehen, versuche ich in syntheti-
scher Form die Eigentümlichkeit des russischen philosophischen Den-
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