Full text: Geschichte der freien und Hansestadt Lübeck

Dom und Marienkirche im Mittelalter 
schule auf die Stärke von 60 bis 70 Sängern gebracht. Er war 
meistens in der Nähe des Altars aufgestellt, später auch auf dem 
Lettner, der im Dom schon 1201 erwähnt wird. Geleitet wurde er 
von einem Domherrn, dem Cantor; erst allmählich übernahm 
einer der BVicare das bei der großen Zahl der Gottesdienste 
beschwerliche Amt. 
Neben dem Dom entwickelte auch die Iarienkiche bald nach 
ihrer Vollendung künstlerischen Ehrgeiz. Schon 1462 hatte der 
Bürgermeister Hinrich Castorp gemeinsam mit vierzig Notabeln 
der Stadt eine tägliche ,„singende" Messsse zu Ehren der heiligen 
IJungfran gestiftet, die in der Kapelle hinter dem Hochaltar ab- 
gehalten wurde. Für diesen Gottesdienst wurden acht bezahlte 
Sänger + sechs Knaben und zwei Erwachsene ~ angestellt: der 
Keim einer Sängerkapelle, für die man sich bald zwei „Sang- 
mester" hielt. Daß man dieser Stellung besondere Wichtigkeit 
beilegte, geht daraus hervor, daß sie mit auswärtigen Kräften 
beseßzt wurde; u. a. wurde ein Kleriker aus der durch ihre 
Sängerschule berühmten Diözese Tournay berufen. Eine Sing- 
schule wurde dieser Sängerkapelle im Jahre 1502 angegliedert. 
Handelsverbindungen lübischer Kaufleute mit den Niederlanden 
scheinen dann früher als nach anderen Gegenden Norddeutschlands 
die Kenntnis der Figuralmusik, die den gregorianischen Choral 
ablöste, nach Lübeck getragen zu haben. Derselbe Hinrich Castorp 
bestimmte 1486 in einem Vermächtnis, daß alljährlich am Annen- 
Tage eine feierliche Messe „mit Figuralgesang“’ gesungen werden 
solle. Das ist aber auch alles, was von der Pflege des spätmittel- 
alterlichen Kirchengesangs in Lübeck bekannt geworden ist. Ver- 
zeichnisse, Abschriften oder gar Drucke der ausgeführten Chormusik 
sind nicht erhalten. Nichts bezeugt, daß Lübeck schöpferisch oder 
reproduktiv einen besonderen Anteil an der musikalischen Spätgotik 
1 
+;
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.