Full text: Bolschewismus, Fascismus und Demokratie

menschliche Gemeinschaft viel nützlicher sei, alle Menschen nach eigenem 
Willen denken, leben und handeln zu lassen, als sie zu zwingen, näch frem- 
dem Willen zu leben und zu handeln. Die Gewissensfreiheit, die Berufs-, 
Vereins-, Lehr- und Pressefreiheit waren für uns keinem Zweifel ausgesetzt. 
Wir glaubten alle, kein menschlicher Fortschritt sei denkbar ohne die Siche- 
rung der Freiheit. Keine, auch die gesetzlichste politische Macht hatte in 
unseren Augen das Recht, die Minderheiten zu erdrücken. 
Die Nationalökonomen betrachteten die wirtschaftliche Freiheit, welche 
die Verteilung der Arbeit unter Individuen und Staaten bestimmte, als Grund- 
lage der internationalen Beziehungen. Nicht nur Gelehrte und Politiker in 
ihren besten Vertretern, auch Parlamente und Presse erkannten, daß nach so 
vielem Ringen der Menschheit die Freiheit die äußere und innere Richtlinie 
der Nationen sein müsse. 
Jetzt ist es Sitte, die Freiheit zu lästern. In meiner Jugendzeit erstrebten 
selbst die Politiker, die einer reaktionären Gesinnung beschuldigt waren, den 
Beweis, daß zeitweilige Einschränkungen nur als Mittel für die Sicherstellung 
der Freiheit anzusehen seien. Ich erinnere mich noch einer Unterredung mit 
dem schon sehr bejahrten Crispi zur Zeit seiner größten Macht. Ich hatte 
ihn der Verleugnung seiner Vergangenheit und reaktionärer Handlungen be- 
schuldigt gehabt. Meine Artikel hatten ihn sehr schmerzlich getroffen, und 
er verlangte mich sogleich zu sehen. Ich traf ihn in einem Zustand wirklicher 
Aufregung. Er sprach wie Clemenceau in abgerissenen Sätzen, in prägnanten 
Ausdrücken oft rauher, aber äußerst wirksamer Art. Unter allen europäischen 
Politikern, die ich gekannt habe, sind sich wenige so ähnlich wie Crispi und 
Clemenceau : dieselbe Art von übersteigertem Patriotismus, gleiches Miß- 
trauen und Abneigung gegen Feinde, dieselbe Unfähigkeit zu vergessen, und 
eine in die gleichen Worte gekleidete individualistische Einstellung. „Sie 
haben mich beschuldigt, die Freiheit verletzt zu haben. Sie sind jung, können 
Vieles noch nicht wissen. Sie kennen gewiß nicht mein Leben, welches ganz 
der Freiheit geweiht war. Ich möchte lieber Italien arm sehen als reich und 
in Knechtschaft. Keine Größe ohne Freiheit. Ich will die Größe Italiens, aber 
vor allem die Freiheit Italiens.‘ Das waren seine Worte. 
Erregt erklärte er mir den Sinn seiner Maßnahmen, die ein notwendiges 
Provisorium seien. Ich war nicht ganz überzeugt, aber vor dem Schmerz des 
Greises, der trotz vieler Fehler sein ganzes Leben feurig für Vaterland und 
Freiheit gewirkt hatte, schämte ich mich meiner jugendlichen Keckheit und 
gab ihm gerne zu, daß ich übertrieben und mich vielleicht getäuscht, aber 
nie an seiner Gesinnung gezweifelt hatte. 
I8
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.