Full text: Bolschewismus, Fascismus und Demokratie

Volksbevormundung und die diktatorische Autokratie sind nicht denkbar oder 
nicht haltbar in einer Gesellschaft höherer Kultur, welche einen eigenen Staat 
bilden will, der ihr organischer und natürlicher Ausdruck, nicht aber ihr von 
einer Minderheit aufgezwungen sel, 
Das 19. Jahrhundert, welches jetzt von den Unwissenden geschmäht und 
verhöhnt wird, ist das große Jahrhundert der menschlichen Freiheit, des 
freien Handelsverkehrs, der großen Erfindungen und zugleich des nationalen 
Prinzips und der großen nationalen Staatsbildungen gewesen. Lange wurden 
weder von den Konservativen noch von den Demokraten überlieferte Frei- 
heiten oder neuerworbene soziale Formen in Frage gestellt. Die Konser- 
vativen, besonders in Großbritannien, versuchten ohne Verleugnung der Frei- 
heit ihre Privilegien zu erhalten, indem sie sich den neuen Formen fügten. 
Lange haben die Konservativen das bürgerliche Stimmrecht nicht bekämpft 
und sich auf die Forderung beschränkt, daß das Stimmrecht nur den geistig 
Reifen gegeben werden solle (Studienzeugnisse) oder den an der Erhaltung: 
des Staates Interessierten (Eigentum oder Einkommen). Sie haben das Recht 
jedes Bürgers auf öffentliche Ämter nicht bestritten, aber durch Pflichten 
und Einschränkungen in Wirklichkeit die Mehrzahl von vielen dieser Ämter 
fern gehalten. Die Nützlichkeit der Bildung wurde von ihnen nicht bestritten ; 
doch verlangten sie, daß die Verantwortung dafür den Familienhäuptern 
anvertraut werde. Oberflächlich betrachtet, vermieden sie nicht nur, gegen 
die Freiheit zu streiten, sondern schienen ihre konsequentesten Verteidiger. 
Bis nach dem Kriege hat man in keiner der westlichen Demokratien die 
Freiheit verneint. Man kritisierte die Parlamente, versuchte aber, sie mit 
den neuen Formen des sozialen Lebens in Einklang zu bringen, sie organi- 
scher zu gestalten. Man kritisierte die Freiheit, aber nur deshalb, weil sie 
ein Prinzip der Verneinung darstellte, und das Streben war eher auf das Or- 
ganisieren der sozialen Kräfte zugunsten der freien Staatsverfassungen ge- 
richtet, als auf das Verleugnen der Freiheit. 
In Großbritannien, in Frankreich, in Italien wäre vor zwanzig Jahren nicht 
etwa nur die Unterdrückung der Freiheit, sondern selbst ihre theoretische 
Verneinung unsinnig erschienen. Italien, welches 1860 noch in mehrere 
Staaten geteilt war, besaß in Giuseppe Mazzini den liberalen Denker, welcher 
mehr als jeder andere das nationale Bewußsein weckte. Es ist hauptsächlich 
wenn nicht allein ihm zu danken, daß das italienische Bewußsein von dem 
Gefühl der Nationaleinheit durchdrungen wurde. Er war eine edle Gestalt 
und ein hoher Geist, der mit tiefer Mystik praktische Wirksamkeit verband. 
Er schrieb wie ein Apostel und handelte wie ein erfahrener Verschwörer. 
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