Die Soziologie ist keine Kunstlehre
hende zu beeinflussen und unseren Interessen ode Wunschen
gemäß zu gestalten. — Die Wissenschaft geht anglerS vor. Sie 7
hat nicht das Bestreben zu handeln, sie will nur ) kennen. Sibek 6.
versucht nicht, der Welt eine neue Zielsetzung kücgeben, sie 7
forscht nur danach, wie sich die Dinge von sich aus &e w Sie
denkt nicht daran, zu bewirken, sondern nur daran, 2y belehren.
_—_ Hieraus ergibt sich, inwiefern sie sich von der‘ Küng!
unterscheidet. Letztere bezieht sich auf das Ideelle, die Wissen-
schaft auf das Reale. Die Kunstlehre gibt Vorschriften, die
Wissenschaft leitet Gesetze ab. Die eine versucht, die Zukunft
zu beeinflussen, die andere richtet ihre Forschungen auf Ver-
gangenheit und Gegenwart. Die Kunstlehre hat notwendiger-
weise etwas Subjektives, die Wissenschaft bemüht sich, rein
objektiv zu sein. — Die Kunstlehre ist das, was man in den
Zeiten, in denen man Theorie und Praxis einander gegenüber-
stellte, als Theorie bezeichnet hat. Die Wissenschaft dagegen
kennt keine Theorie, sie befaßt sich mit Feststellungen; wenig-
stens bezeichnet das Wort Theorie im Zusammenhang mit ihr
lediglich eine Zusammenfassung von positiven Vorstellungen: —
In soziologischen Fragen hat sich die Menschheit lange Zeit
hindurch nur auf die Praxis beschränkt. Die theoretische Seite,
die Kunstlehre, ist erst später aufgekommen. Als letzte erschien
die Wissenschaft auf dem Plane. Diese Entwicklung hat sich
auf allen den Gebieten, welche die Beziehungen der Menschen
zu der. physikalischen und organischen Welt betreffen, schneller
vollzogen; da die Materie weniger vielgestaltig war, konnte die
Wissenschaft schneller aufgebaut werden. Für das Gebiet des
Sozialen hingegen sind allerdings seit langem unter dem Namen
»Geschichte« Sammlungen von Tatsachen vorhanden gewesen,
aber erst im 19. Jahrhundert ist man sich klar darüber geworden,
wie bedeutsam die wirklich wissenschaftliche Anordnung dieses
Materials eigentlich ist. Unter zwei Gesichtspunkten mindestens
ist ihre Bedeutung sehr groß. Vor allen Dingen ist eine Wissen-
schaft notwendig, um der Kunstlehre die Richtung anzugeben.
Nur derjenige, welcher das soziale Leben genau erforscht hat,
ist tatsächlich imstande, eine weite und tiefe Einwirkung auf es
auszuüben. Außerdem aber kommt der Wissenschaft noch über
diesen Zweck hinaus und in sich selbst eine große Bedeutung zu.
Sie befriedigt die höchsten geistigen Bedürfnisse, sie ist ein Erzie-
hungsfaktor ersten Ranges, denn sie verleiht dem Menschen die