64 Die Werttheorie
Kapitalisten und dem Arbeiter, — die erste Bedingung für die
Bereicherung des Kapitalisten. Der Profit, d. h. der Geldwert-
ausdruck, keinesfalls aber der „natürliche‘‘ Ausdruck des Mehr-
produkts, ist das treibende Motiv der modernen Gesellschaft; eben
darauf beruht der ganze Prozeß der Kapitalakkumulation, der
die alten Wirtschaftsformen zerstört und sich in seiner Entwick-
lung scharf von ihnen abhebt, als eine durchaus spezifische
historische Phase der wirtschaftlichen Evolution usw. usw. Des-
halb hat das Wertprobleme immer wieder die Aufmerksamkeit der
Theoretiker der Oekonomie in viel höherem Maße auf sich ge-
zogen als jedes andere Problem der politischen Oekonomie:
Smith, Ricardo, Marx — sie alle machten die Wertanalyse zur
Grundlage ihrer Forschungen“. Auch die österreichische Schule
machte die Wertlehre zum Eckstein ihrer Theorie: sofern sie
sich gegen die Klassiker und Marx wandte und ihr eigenes theo-
retisches System schuf, hatte sie sich hauptsächlich mit dem
Wertproblem zu beschäftigen.
Und so kommt es, daß die Lehre vom Wert in Wirklichkeit
noch immer im Mittelpunkt der gegenwärtigen theoretischen Dis-
kussionen steht, obwohl bereits Mill sie in der Hauptsache für
abgeschlossen hielt*. Im Gegensatz zu Mill glaubt Böhm-Bawerk,
daß die Lehre vom Wert „eine der unklarsten, verworrensten
und strittigsten Partien unserer Wissenschaft‘“* blieb; dennoch
hofft er, daß die Forschungen der österreichischen Schule diesem
Zustand. der Wissenschaft eine Ende machen werden. „Durch
einige Bearbeitungen der jüngeren und jüngsten Zeit — meint
? „Bei einem Gesellschaftszustande ... wo das System der Erwerbstätigkeit
gänzlich auf Kaufen und Verkaufen beruht ... ist die Frage vom Werte
fundamental. Fast jede Ansicht in bezug auf die kommerziellen Interessen
einer so konstituierten Gesellschaft schließt irgendeine Theorie des Wertes in
sich, der geringste Irrtum in dieser Beziehung verbreitet den entsprechenden
Irrtum über alle unsere anderen Schlußfolgerungen‘ (Stuart Mill „Grundsätze
der politischen Oekonomie“, übers. von Soetbeer, 3. Aufl., 1869, Bd. II, S. 10).
Freilich wurden in letzter Zeit, angeregt durch Herrn Struve, Stimmen laut,
nach denen das Wertproblem in keinem Zusammenhang mit dem Verteilungs-
problem stehe, während Ricardo z. B. das Wertproblem zum Grundpro-
blem der politischen Oekonomie zählt. (Siehe „Grundgesetze der Volkswirt-
haft‘.
X N Dieselbe Ansicht vertritt auch Tugan-Baranowsky, wenn auch seine „Ver-
teilungstheorie‘“ durchaus das gewichtigste Argument gegen diese „Neuerung“
ist. Struve gibt der Frage eine logisch reinere Form, die die Aufstellung einer
Verteilungstheorie unmöglich macht.
Dasselbe gilt für Schaposchnikow. (Siehe seine „Wert- und Verteilungs-
theorie“, Moskau 1912, S. 11.)
3 J. Stuart Mill 1. c. S. 109.
* Böhm-Bawerk: „Grundzüge usw.‘“, S. 8.