Full text: Die Systeme im neuzeitlichen deutschen Genossenschaftswesen, ihre Entstehung und ihr gegenwärtiger Stand

Erster Abschnitt. Die Entwicklung des Systems bis zu Raiffeisens Tode. 89 
genau wie bei den Vorschußvereinen. Aussichtsvolle Anfänge für 
einen neuen Aufstieg liegen bereits vor. 
Für die Übergangszeit haben aber die Darlehenskassenvereine ihre 
ganzen Grundsätze umstellen müssen. War das Kreditpapier früher 
durchweg der Schuldschein und der Wechsel grundsätzlich verpönt, 
so mußten jetzt alle benötigten Kredite auf Wechsel flüssig gemacht 
werden. Denn die Reichsbank und die Deutsche Rentenbank ver- 
langten die wechselmäßige Deckung, und auf die Reichsbank und 
die Deutsche Rentenbank waren auch die ländlichen Genossenschaften 
angewiesen, nachdem die Inflation ihre eigenen Betriebsmittel wert- 
los gemacht hatte. Es ist zu hoffen, daß diese Übergangszeit so schnell 
wie möglich überwunden wird und die Darlehenskassenvereine wie- 
der zu ihrem früheren Kreditsystem zurückkehren können. In dieser 
Übergangszeit feiert die Vermischung zwischen Personal- und Real- 
kredit geradezu Orgien. Konnte früher gesagt werden, daß die Dar- 
lehenskassenvereine, namentlich gegenüber dem Kleinbauern keine 
klare Scheidung zwischen Personal- und Realkredit machten, vielfach 
auch garnicht machen konnten, daß daneben im Einzelfall Darlehens- 
kassenvereine, namentlich solche mit starken Betriebsmitteln, auch 
echte Realkredite gewährten, so mußten in der Deflationsperiode die 
Darlehenskassenvereine in weitestem Umfange Kredite, die nur als 
Realkredite anzusprechen waren, in Form des dreimonatlichen Wech- 
selkredits gewähren. Auch dadurch sind die Darlehenskassenvereine 
auf eine Belastungsprobe gestellt worden, welche auf lange Dauer 
nicht tragbar ist. Die Neuschaffung von Realkrediten in den letzten 
Jahren hat bereits einige Hilfe gebracht. 
9, Zinspolitik. Der Darlehenskassenverein hat es sich zur Auf- 
gabe gestellt, den Bauern vom Wucher zu befreien. Er fand in den 
Dörfern ähnliche Mißstände vor wie der Vorschußverein in den 
Städten. Raiffeisen berichtet, daß die Zinsen damals bis 100 v. H. 
und mehr betragen haben. Den Vereinen gelang es schnell, die Zins- 
sätze auf ein erträgliches Maß herabzudrücken. Im Jahre 1893 konnte 
Raiffeisen bereits empfehlen, die Zins- und Provisionssätze zusam- 
men auf 5% v. H. festzusetzen. Er warnte aber vor einer zu nied- 
rigen Normierung der Sätze, wozu bei den Vereinen Neigung vor- 
handen gewesen zu sein scheint. „Ware unter dem Preise wird ge- 
Wöhnlich nicht gehörig in acht genommen,“ sagte er seinen Vereinen. 
Allmählich konnten aber mit dem allgemeinen Sinken der Zinshöhe 
in Deutschland die Sätze noch weiter herabgesetzt werden. Da die 
Vereine den größten Teil ihres Betriebskapitals in der Vorkriegszeit
	        
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