1. ZUR ORIENTIERUNG ÜBER DIE MODERNE
PSYCHOLOGIE.
Erst in der neuesten Zeit ist die Psychologie zu sicheren Ergeb-
nissen gelangt. Die alte Psychologie (der Ausdruck Psychologie
stammt übrigens aus den Zeiten des Melanchthon) verfügte noch
nicht über die wertvollen Methoden der modernen Seelenlehre,
die erst im 19. Jahrhundert unter dem Einfluß von Fechner,
Helmholtz, Galton und anderen Männern und nicht unbeeinflußt
durch die Fortschritte der Anatomie und Physiologie des Nerven-
systems entstanden und nun eine selbständige, positive Wissen-
schaft geworden ist. Natürlich ist aber auch die moderne Psy-
chologie wie jede Wissenschaft (abgesehen vielleicht von der reinen
Mathematik) auf die Anregungen und die Mitwirkung von Hilfs-
wissenschaften, z. B. der Psychiatrie und Neurologie angewiesen.
Sie wird an den Hochschulen. vorwiegend in den psychologischen
Instituten gepflegt und ihre Vertreter und Anhänger haben sich
in Deutschland im Jahre 1904 zu einer „Gesellschaft für experi-
mentelle Psychologie“ zusammengeschlossen, wenn wir auch gleich
sehen werden, daß das Experiment zur Charakterisierung der mo-
dernen Seelenlehre nicht ausreichend ist. Daß auch heute noch
unter dem Namen der Psychologie veraltete Richtungen gepflegt
werden, sei nur beiläufig erwähnt. Auch daß sich neuerdings
öfters offenbare Schwindler, die zum Teil als Hellseher und Pro-
pheten. auftreten, Psychologen nennen, mag noch betont werden.
Die moderne Psychologie, welche die freilich ewig wichtigen
philosophischen Fragen nach dem Wesen der Seele und verwandte
Probleme der Philosophie überläßt, ist charakterisiert durch die
Anwendung des Experiments im Sinne der modernen Natur-
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