§ 1. Der Urfprung der Hausinduftrie
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ihre heutige Geftaltung noch deutlich erkennen läfzt. Aber auch in vielen
Gegenden Deutfchlands hat auf diefe Weife die Hausinduftrie ihren Eingang
gefunden.
Vor allen Dingen charakteriftifch ift für diefe Art der Entftehung der haus
induftrie dasfchlefifche Leinengewerbe, das als Exportinduftrie
am Ende des 16. und zu Beginn des 17- Jahrhunderts erfcheint. ln dem am
Fufze des Riefengebirges gelegenen Städtchen Jauer hatten die Händler ihren
Wohnfitz, während die Weber in den Gebirgsdörfern fajzen und das fertig zu
gerichtete Leinen, zu dem fie fich das Garn meiftens felbft befchafft hatten,
an die Händler ablieferten, ln ähnlicher Weife wie Jauer für die Leineninduftrie,
war Hirfchberg der Mittelpunkt für die Schleierinduftrie, d. h. die Anfertigung
der befonders feinen, forgfältig appretierten Leinenftücke. Neben Hirfchberg
kamen noch Landshut, Schmiedeberg und Greifenberg als Wohnfitze der
Händler und Ablieferungszentralen der häuslichen Gewebe in Betracht. Die
Arbeiter aber waren in den Städten nicht anzutreffen, fie blieben in den Dörfern
der verfteckten Gebirgstäler. Dort waren es nun teils Weber, denen die Aus
übung ihres Gewerbes Hauptberuf und alleinige Einkommensquelle war;
zum grojzen Teile aber waren es auch Bauernfamilien, die fich dem Spinnen und
Weben zuwandten zur Ausfüllung der langen Winterzeit, wenn das Gebirgs-
dorf in tiefem Schnee vergraben lag und alle Feldarbeit ruhte.*)
In ähnlicher Weife find als Nebenbefchäftigung der bäuerlichen Bevölke
rung verfchiedene Gcbirgsinduftrien entftanden, wie die Berchtesgadener und
Oberammergauer Holzfchnitzerei, die Hausweberei im Fichtelgebirge, die
Schwarzwälder Uhreninduftrie, ländliche Hausinduftrien, wie die württem-
bergifche Trikotinduftrie, die Hausweberei im Elfajz, die Nag lfchmiederei,
Filetinduftrie, Perlkranzflechterci, Handfchuhnäherei, Drahtwarenfabrikation
auf dem Taunus, die verfchiedenen Hausinduftrien in Thüringen, die Zigarren
fabrikation und die Leineninduftrie in den Gegenden von Minden und Bielefeld.
Hie und da hat freilich auch —- einem merkantiliftifchen Zuge der Zeit folgend—
die Landesregierung auf Einführung der Hausinduftrie gedrungen, um der
Landbevölkerung einen neuen Erwerbszweig zu fchaffen, wie auf dem Schwarz
wald und auf dem Fichtelgebirge. 2 )
7 A. Zimmermann, Blüte und Verfall des Leinengewerbes in Schlefien,
Breslau 1885, 1 —10; vgl. auch K. B i I I e r, Der Rückgang der Handleinwandinduftrie
des Münfterlandes, Leipzig 1906. H. Brauns, Der Übergang von der Handweberei
zum Fabril'betrieb in der niederrheinifchen Samt- und Seideninduftrie, Leipzig 1906.
2 ) Vgl. Die deutfehe Hausinduftrie, Sehr. d. V. f. S„ Leipzig 1889, Bd. 40 S. 77.
Bd. 41 S. 1 u. 35, Bd. 42 S. 25, 35, 45; ferner: Hausinduftrie in Deutfchland und
Öfterreich, Sehr. d. V. f. S„ Bd. 84 S. 20, 106, 192, 251.
Koch 3 , Die deutfehe Hausinduftrie
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