Strukturwandlungen der Weltwirtschaft
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zeugung finden, daß Leben und Gedeihen der Teile bedingt ist durch deren
wechselwirksame Verbundenheit untereinander und mit dem Ganzen: im
Sinne einer rational verstandenen weltwirtschaftlichen Interessensolidari-
tät. Ich persönlich habe den Glauben, daß es dazu kommen wird — trotz
allem, was in Europa und in der übrigen Welt vor sich geht. Ja gerade des-
wegen. Wohin die Handelseifersucht führt, lehrt ein Blick auf die
Wirtschaft Europas. Sind nicht aber auch Symptome dafür vorhanden,
daß jene Erkenntnis, von welcher ich sprach, sich durchzusetzen begonnen
hat? Ich behaupte es. Man denke doch: Vor zehn Jahren stand die
Welt in Flammen, heute steht sie im Zeichen des Völkerbundes. Wie
immer man diesen auch beurteilen mag: daß er im Völkerleben ein
Faktor geworden ist, wird niemand bestreiten wollen. Ist es nicht
auch ein Symptom, daß eben dieser Völkerbund zur Weltwirt-
schaftskonferenz aufruft? Gemeinhin pflegt das alles minder ge-
würdigt zu werden, weil die ethische Triebkraft vermißt wird. Wo aber
ist diese, so frage ich, im wirtschaftlichen Kampf der Sonderräume
innerhalb der Volkswirtschaft? Folglich suche man sie erst recht nicht
dort, wo Wirklichkeitssinn sie nicht einmal vermuten kann. Einstweilen
handelt es sich um nichts anderes als um Interessenausgleich, den
in der Volkswirtschaft der Staat erzwingt, der in der Weltwirtschaft
auf dem Vertragswege herbeigeführt werden muß. Jeder Handels-
vertrag ist dazu ein Ansatz. Hat schon jemand Handelsverträge deshalb
geringer gewertet, weil sie unter dem Gesichtspunkt des Interessenaus-
gleichs abgeschlossen werden? Und ist es utopisch, für möglich zu halten,
daß an Stelle von zwei Interessenten sich alle Interessenten über den
modus vivendi ihres wechselseitigen Verkehrs verständigen? Müßte
man nicht im Gegenteil von Wahnsinn reden, wenn es unterbliebe?
Soll der Sonderraum verkümmern, weil die lebenswichtigen Beziehungen
zum Gesamtraum, deren Pflege naturbedingt ist, dauernd gestört werden ?
Die Frage stellen, heißt die Antwort bereit haben. Früher lautete sie:
Krieg. Heute haben wir Verständnis dafür gewonnen, daß im Waffen-
gang um Wirtschaft die Opfer stets größer sind als die Erfolge. Mithin
ist die Wahrnehmung von sonderraumwirtschaftlichen Interessen, wie
seit langem in der Volkswirtschaft, künftig auch in der Weltwirtschaft
vornehmlich eine Aufgabe des Verstandes. Staatsmännern und Politikern,
die ihn nicht besitzen, mag dies eine unliebsame Feststellung sein —
an der Richtigkeit der Behauptung wird dadurch nichts geändert. Ob
über nüchterne Interessenverständigung hinaus jemals ein Zeitalter
innerer Völkerharmonie zu erwarten ist — wer will es sagen! Anzeichen
dafür vermag ich nicht zu erkennen. Aber liegt nicht schon ein tiefer
Sinn darin, daß die Menschheit, sie möge wollen oder nicht, schicksals-
mäßig gezwungen ist, die Idee der weltwirtschaftlichen Interessen-