Full text: Sozialpolitik in Österreich 1919 bis 1923

höchsten Würdenträger dieses Staates — unter ihnen auch 
der Bundespräsident Hainisch — bemühen sich, daß Maßregeln 
getroffen werden, um die Geburtenzahl zu vermehren. Durch 
eine Kinderversicherung, die es dem verheirateten Arbeiter er— 
möglichen würde, seine Kinder auch entsprechend zu ergiehen, 
wäre der Geburtenrückgang zu beseitigen, soweit es nur von 
der Frage abhängt. Aber die Arbeiterfrauen sind bescheidener 
geworden, sie sagen sich: Nur Kinder bekommen, damit der 
Totengräber eine Beschäftigung hat, dazu geben wir uns 
nicht her. 
Der Abbau des Mieterschutzes war von den 
Christlichsozialen schon zu der Zeit geplant, als wir noch m 
der Regierung saßen. Ich verstehe nur das eine nicht, daß es 
sogar Unternehmer gibt, die gegen den Mieterschutz wettern, 
obwohl der Mieterschutz eine Exportprämie für die Industrie 
ist. (Zustimmung.) Auch das zeigt wieder, wie wenig die 
Unternehmer ihr Interesse zu vertreten verstehen. 
Aber mit dem Mieterschutz ist die Wohnungsfrage noch 
nicht gelöst, sie ist auch durch die Schaffung von Siedler— 
genossenschaften oder dadurch nicht gelöst, daß Gemeinden 
Wohnungen bauen, wie zum Beispiel heuer in Wien noch 
2000 Wohnungen geschaffen werden sollen. Das alles kann 
das Wohnungselend wohl mildern, aber nicht beseitigen. Wenn 
es beseitigt werden soll, muß alles zusammenhelfen. Ich habe 
schon seinerzeit den Vorschlag gemacht, die Regierung möge 
ein Gesetz über die Enteignung von Bauplätzen dem Hause 
vorlegen. Denn die Bauplätze werden heute nicht um öster— 
reichische Kronen, sondern um ausländische Valuta gehandelt 
und dadurch wird die Bautätigkeit außerordentlich verteuert. 
Wenn das Enteignungsgesetz geschaffen ist, soll man weiter die 
österreichischen Banken verpflichten, für 28 Prozent ihrer 
Angestellten Wohnungen zu bauen. Das würde allein in Wien 
sofort 5000 Wohnungen ergeben. In diese neuen Häuser, die 
nicht unter dem Mieterschutz stehen und daher höhere Zinse 
haben würden, brauchten Bankangestellte nicht einzugiehen. 
Es gibt Leute genug, die hohe Zinse bezahlen und anderen 
ihre unter dem Mieterschutz stehenden Wohnungen freimachen 
könnten. Man müßte sich weiter die Frage vorlegen, ob nicht 
auch die Industrie zu verpflichten wäre, für 5 Progent ihrer 
Arbeiter und Angestellten Wohnungen herzustellen. Auf dem 
Lande müssen die Unternehmer, wenn sie Arbeiter haben 
wollen, Häuser hinstellen. In Obersteiermark war zum Bei—
	        
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