Full text: Sozialpolitik in Österreich 1919 bis 1923

Damit ist das Obereinigungsamt seiner früher lobend er— 
wähnten Praxis nicht bloß untreu geworden, sondern hat vielmehr 
den Schutz der Betriebsräte in eine ungeheure Gefahr gebracht. 
Dieses Gutachten veranlaßte die Gewerkschaften zu einer Eingabe 
zwecks Revision desselben, nachdem es auch bei den Einigungs— 
ämtern Bedenken hervorgerufen hatte. Ein verstärkter Senat ge— 
langte am 16. Mai zu dem richtigen Schlusse: 
„Jede Entlassung eines Betriebsratsmitgliedes stellt sich 
objektiv als eine Verletzung der gewährleisteten Immunität dar. 
Das betroffene Mitglied kann daher ohne Rücksicht darauf, auf 
welchen Grund die Entlassungserklärung des Unternehmers gestützt 
wird, die Entlassung anfechten.“ Bezüglich der im Gesetz offen 
gebliebenen Frage, binnen welcher Frist die Anfechtung stattzu— 
finden hat, wurde erklärt: „Es muß an die achttägige Frist des 
83, Zahl 9, B.«R.«G., angeknüpft werden, die auf ähnlichen Er— 
wägungen, die zur raschesten Klarstellung der Rechtslage drängen, 
beruht.“ Näheres siehe „Arbeit und Wirtschaft“, Nr. 12. 
Wie ersichtlich, hätte das erste Gutachten den Unternehmern 
eine willkommene Handhabe zur Beseitigung unliebsamer Betriebs— 
räte geboten. Durch das neue Gutachten hingegen hat der Schuß 
der Betriebsräte eine dem Sinne des Gesetzes entsprechende Stär— 
kung erfahren. 
b) Arbeiterschutz. 
1. Achtstundentag. Knapp nach Beendigung des letzten 
Gewerkschaftskongresses galt es, den Kampf um die allgemeine 
Durchführung des Achtstundentages aufzunehmen. In 
welchen Formen sich dieser Kampf abspielen werde, ließ die bereits 
früher von dem Ausschuß für soziale Verwaltung veranstaltete 
Enquete ahnen. Die Vertreter der Kaufmannschaft des Groß- und 
Kleinhandels, die Experten des Baufaches und der Fuhrwerker be— 
gnügten sich mit Einwänden, wiesen auf besondere Schwierigkeiten 
der Einführung hin, ließen aber immerhin durchleuchten, daß unter 
gewissen Voraussetzungen ein solches Gesetz zur Anwendung ge— 
langen könnte. Die Vertreter der Genossenschaften hingegen sprachen 
sich grundsätzlich gegen die Einführung des Gesetzes aus. 
Genosse Smitka nahm diese Außerungen zum Anlaß der 
Bemerkung, diese könnten wohl nur so aufgefaßt werden, daß sich 
die Vertreter auch an einer Beratung über Bestimmungen zur 
Erleichterung des Gesetzes nicht beteiligen wollen. Der Ausschuß 
für soziale Verwaltung hielt am 11. Dezember 1919 eine Sitzung 
ab, in welcher Genosse Wiedenhofer über das Ergebnis der 
Expertise berichtete und beantraate. die überreichten Eingaben dem
	        
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