DIE ENTWICKLUNG DER AKADEMIE FÜR MUSIK UND DARSTEL-
LENDE KUNST IN DEN LETZTEN ZEHN JAHREN
Von Hofrat 0. 6. Professor: Max Springer, Direktor der Akademie.
Es ist eine der erfreulichsten Tatsachen, daß in dem
Desterreich der Nachkriegszeit, welches anfangs nahezu
an allem zum Leben Notwendigen Mangel litt und
das ja auch heute wirtschaftlich wahrhaftig nicht auf
Rosen gebettet ist, niemals der Gedanke Raum ge-
wann, die Musikpflege sei ein Luxus, den man sich
nicht gestatten dürfe; vielmehr brach sich immer mehr
die Erkenntnis Bahn, daß gerade die Musik eine
Aktivpost in dem Haushalt der jungen Republik,
and die dem Oesterreicher in so hohem Maße eigene
musikalische Begabung ein Pfund sei, das man nicht
vergraben dürfe, sondern aus kulturellen und schließ-
lich auch aus wirtschaftlichen Gründen so frucht-
bringend als möglich verwerten müsse. Dieser Er-
kenntnis entsprang auch die zähe Beharrlichkeit, mit
welcher sowohl die Fach- und Kunstkreise als auch
die Regierung und Volksvertretung daran festhielten,
alle der Musikpflege dienenden Einrichtungen zu
bewahren und vor allem die staatlichen Musikinstitute
nicht nur auf dem bisherigen Stande zu erhalten,
sondern weiter auszubauen. Es war daher nur selbst-
verständlich, daß auch dem musikalischen Erziehungs-
wesen unverminderte Sorgfalt zugewendet wurde.
Ganz besonders war es die erste staatliche Musiklehr-
anstalt, die Akademie für Musik und dar-
stellende Kunst in Wien, .deren Erhaltung und
Ausbau dem Lehrkörper der Anstalt sowie der Unter-
cichtsverwaltung am Herzen lagen. Der lebhafte Anteil,
den auch die Regierung an dem Gedeihen der Schule
nahm, kam wohl am deutlichsten zum Ausdruck, als
unmittelbar vor der Errichtung der Hochschule
Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel selbst in der Aka-
demie erschien und mit tiefstem Verständnis für alle
Fragen der Anstalt die Richtlinien ihrer künftigen
Entwicklung vorzeichnete. ;
Bevor wir daran gehen, die Schicksale des Institutes
während des zehnjährigen Bestandes der Republik
zu schildern, möchten wir vorausschicken, daß es
schon wegen Raummangels nicht Aufgabe dieser
Darstellung sein kann, eine ins Einzelne gehende
Geschichte des Institutes zu geben, alle Neuanstel-
lungen von Lehrkräften zu verzeichnen usw. Fs
konnte hievon um so eher Umgang genommen werden,
als über die Ereignisse beim Umsturz, den Wechsel
in der Leitung und der Lehrkräfte u. dgl. der
Jahresbericht vom Jahre 1918/19 und insbesondere
die im Jahre 1027 erschienene, im Auftrage der
Direktion von Universitätsprofessor Dr. Robert Lach
verfaßte Geschichte der Akademie erschöpfende Aus-
kunft gibt. Es erschien zweckmäßiger, in großen
Umrissen und nur vom rein Sachlichen ausgehend,
die Veränderungen zu schildern, welche die Anstalt
während des zehnjährigen Bestandes der Republik
erfahren hat, mit tunlichster Vermeidung aller Auf-
zählungen von Namen, Daten und Einzelheiten,
welchen nur symptomatische Bedeutung innerhalb des
Sanges der Entwicklung zukommt. Diesen wollen wir
ıun nach zwei Richtungen hin verfolgen: in bezug
auf die Verfassung einerseits, die Lehrziele und den
Lehrplan anderseits.
Die Akademie hatte in den Tagen des Umsturzes
aine demokratische Verfassung und damit eine weit-
zehende Autonomie erhalten. Da aber schon damals
ler Gedanke an die Umgestaltung zu einer Hoch-
schule immer mehr Raum gewann, konnte man wohl
voraussehen, daß damit noch nicht die endgültige
Verfassungsform für die Akademie gefunden war. Als
lann die Hochschule errichtet und gleichsam aus der
\kademie heraus losgelöst wurde, machte sich natur-
zemäß sogleich die Rückwirkung auf die Akademie
zeltend. Zum ersten Male, und zwar in einschneiden-
der Weise, als im Sommer 1925 das Unterrichtsmini-
sterium, welchem damals Bundesminister Dr. Emil
Schneider vorstand, die Weisung gab, daß in
inkunft die Leitung der Akademie und der Hoch-
schule nicht in einer Hand vereinigt sein sollten.
Hofrat Professor Dr. Joseph Marx legte. daher
in der Generalversammlung des Lehrkörpers vom
[3. Juni nach seiner Wahl zum Rektor die Direktion
der Akademie nieder, worauf Hofrat Franz Schmidt
zum Direktor gewählt und vom Bundesministerium
wr Unterricht bestätigt wurde. Während seiner
Irkrankung wurde Rgs.-R. Professor Alexander
Wunderer mit seiner Vertretung betraut. Aber nicht
nur die Errichtung der Hochschule war es, die zu
ziner Neuregelung der Verwaltungsorganisation der
Akademie drängte. Die Erfahrungen der abgelaufenen
Jahre hatten die Notwendigkeit mancher Aenderung
auf administrativem Gebiete dargetan. Finem weiteren
Schritt in der Neugestaltung der Verhältnisse be-
deutete es, als im Oktober 1925 das Bundesministerium
ür Unterricht den Hofrat Dr. Karl Wisoko unter
3Zelassung im Ministerium bis auf weiteres zum
administrativen Referenten bei der Akademie für
Musik und darstellende Kunst bestellte, insbesondere
mit dem Auftrage, die Durchführung der in Folge
der Errichtung einer Hochschule sich bei der Aka-
demie notwendig erweisenden organisatorischen Maß-
aahmen in die Wege zu leiten. Das wichtigste Er-
zebnis dieser Verfügung war die F ertigstellung des
ıeuen Statutes (I. Teil), das im Jahre 1027 vom
Vlinisterium genehmigt wurde. Die für die Verfassung
wichtigste Bestimmung des neuen Statutes lautete:
Die Akademiedirektion besteht aus einem Direktor