Full text: Hauptfragen des Tarifrechts

GERHARD ERDMANN: 
Wenn ich auch der Lehre von HOENIGER eine gewisse Berechtigung nicht ab- 
sprechen kann und sie juristisch durchaus haltbar ist, so gebe ich doch der Ansicht 
den Vorzug, die einen Verzicht durch Erlaßvertrag. annimmt. Es werden dadurch 
klarere Rechtsverhältnisse geschaffen, die den tatsächlichen Bedürfnissen besser 
entsprechen. 
Die Nachwirkung des Tarifvertrages. 
Von Dr. GERHARD ERDMANN-Berlin, 
Syndikus der Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände. 
Meine Ausführungen zu obigem Thema waren inhaltlich im wesentlichen identisch 
mit den Ausführungen, die ich in meiner Broschüre „Die Rechtslage nach Ablauf 
sines Tarifvertrages‘“1) über die gleiche Frage gemacht habe. Ich kann mich infolge- 
dessen im einzelnen auf diese Broschüre beziehen und daher an dieser Stelle davon 
Abstand nehmen, nähere Ausführungen im einzelnen zu obigem Thema zu veröffent- 
lichen. 
Mit Rücksicht auf die obenerwähnte Veröffentlichung meiner Broschüre be- 
schränke ich mich daher hier auf die Wiedergabe folgender allgemeiner Grund- 
gedanken, die ich meinem Vortrag als Hauptgesichtspunkte zugrunde gelegt habe: 
[. Ausgehend von einer kurzen Erörterung der einzelnen bisher in der Arbeits- 
rechtswissenschaft vertretenen Lehren (vgl. S. 1—16 a. a. 0.), muß Grundlage für 
die Erkenntnis der im Thema gestellten Frage eine Beurteilung des Wesens des 
Tarifvertrages im Verhältnis zum Einzelarbeitsvertrage sein. Unter 
Zugrundelegung der Verbandstheorie und des $ 1 Tarif-VO. komme ich hier zu dem 
Ergebnis, daß nach $1 Tarif-VO. die Tariıfnorm im Gegensatz zu der OÖEBRTMANN- 
schen Auffassung unmittelbarer Bestandteil des Einzelarbeitsvertrages wird, und 
laß ferner als Folge der Verbandstheorie der Wille der Tarifparteien von unmittel- 
barer schuldrechtlicher Wirkung für das Einzelarbeitsverhältnis nicht werden 
kann, sondern daß die zivilrechtliche Auswirkung dieses Willens beschränkt bleibt 
auf die entstandenen gegenseitigen Verpflichtungen der den Tarifvertrag abschließen- 
den Parteien untereinander (vgl. S. 16—21 a. a. O.). 
II. Aus der unter I getroffenen Feststellung folgt, daß für die Erörterung des 
den Gegenstand des Themas bildenden Einzelproblems scharf zu trennen ist zwischen 
Einzelarbeitsvertrag und Tarifvertrag. Der Tarifvertrag, der durch den 
Willen der Tarifparteien zustande kommt, steht rechtlich in keinen schuldrecht- 
lichen Beziehungen zum Einzelarbeitsvertrag, sondern übt seine Wirkung auf den 
Einzelarbeitsvertrag auf Grund besonderer positivrechtlicher Bestimmung des $1 
Tarif-VO. aus (sog. Gesetzeswirkung, nicht schuldrechtliche Vertragswirkung);, 
während im übrigen aber zivilrechtlich der Einzelarbeitsvertrag vom Kollektiv- 
vertrag völlig losgelöst und selbständig besteht. Wenn mithin der Tarifvertrag, 
sei es durch Kündigung, sei es durch Zeitablauf, beendet wird, so folgt hieraus, daß 
der Einzelarbeitsvertrag in seiner Existenz und seinem Inhalte hierdurch nur be- 
rührt werden kann, wenn entweder 1. die Absicht der Parteien des Einzelarbeits- 
vertrages in Gestalt ausdrücklicher oder stillschweigender Einzelvertragsverein- 
barung diese Rechtswirkung als von den Parteien des Einzelarbeitsvertrages ge- 
wollt zum Ausdruck bringt oder wenn 2. die Bestimmungen über Beendigung des 
Tarifvertrages bzw. einzelner Bestimmungen des Tarifvertrages Gegenstand der 
Regelung im normativen Teil des Tarifvertrages sind, so daß diese Bestimmungen 
kraft der Gesetzeswirkung des $ 1 Tariıf-VO. auch unmittelbar in den Einzelarbeits- 
vertrag übergehen und damit auch unmittelbares Recht für die Parteien des Einzel- 
arbeitsvertrages schaffen (s. S. 21—27 a. a. O.). 
1) Verlagsbuchhandlung Fr. ZILLESEN (HEINRICH BEENKEEN), Berlin C 19.
	        
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