Full text: Koalitionen und Koalitionskampfmittel

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HEINRICH ACKER: 
zwar auch in dem entsprechenden Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, doch 
sie war nicht die urwüchsige Auflehnung einer großen sozialen Klasse, sondern sie 
war, wie SCHMOLLER es vielleicht etwas scharf zugespitzt ausdrückt: „ein Streit 
der Alten und Jungen innerhalb derselben Klasse um Detailfragen‘“. So ist auch der 
Ausgang beider Bewegungen — soweit wir heute sehen können — ein verschiedener: 
Die Gesellenbewegung wurde unterdrückt und ihre Ursachen wurden beseitigt durch 
den die Gegensätze ausgleichenden Obrigkeitsstaat; die soziale Umwälzung des aus- 
gehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts aber führt zu einer Eingliederung 
der sie tragenden Berufsverbände in den Staat, dem dadurch der entfremdete deutsche 
Arbeiter zurückgegeben wird. 
Zur Soziologie des Koalitionsrechtes. 
Von Dr. HEINRICH ÄACKER-Berlin, 
Die Soziologie wird zu einer wissenschaftlichen Betrachtung des Koalitions- 
rechtes in zweifacher Weise beitragen können. Sie wird einmal die gesellschaftlichen 
Grundlagen des Koalitionsrechtes darstellen und damit die gesellschaftlichen Kräfte 
aufweisen können, die zu der soziologischen Erscheinung einer „Vereinigung, Koa- 
lition‘ geführt haben. Dabei wird sie nichts anderes sein als „allgemeine Soziologie“ 
unter einer gewissen Zuspitzung oder Beschränkung auf ein bestimmtes soziologi- 
sches Phänomen. Andererseits wird sie aber auch unter Voraussetzung solcher all. 
gemeinen gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse das Rechtsphänomen eines 
Koalitionsrechtes ins Auge fassen können und wird alsdann das soziologische Wesen 
dieses Rechtes zu erfassen bestrebt sein. Unter diesem speziellen Aspekt wird sie 
eine rechtssoziologische Untersuchung sein und versuchen, das Recht der Koalition 
als eine Rechtskategorie bestimmter soziologischer Artung zu erkennen. Daß beide 
Arten soziologischer Untersuchung im letzten Grunde eines Wesens sind und — im 
sigentlichen zusammengehörend, allein aus wissenschaftlich-technischem Grunde 
getrennt — der gleichen erkenntnismäßigen Einstellung entspringen, erhellt ohne 
weiteres, da selbstverständlicherweise nur eine Kenntnis der allgemeinen soziolo. 
gischen Grundlagen des Gesellschaftphänomens ‚Koalition‘ den rechtssoziolo- 
gischen Inhalt des Koalitionsrechtes bestimmen 1äßt. 
Was eine solche Betrachtung im Rahmen rechtswissenschaftlicher Arbeit zu 
suchen hat, und welcher Nutzen aus ihr für eine rechtliche Betrachtung der Koali- 
tion herzuleiten ist? Es gibt nur eine Welt als die Totalität der den Menschen um- 
gebenden Erscheinungen. Alle Scheidung dieser Erscheinungen nach bestimmten 
Gesichtspunkten ist eine aus geistestechnischen Gründen erforderliche Maßnahme, 
die leicht dazu führt, den Gesamtzusammenhang, die Totalität aller Erscheinungen 
zu vergessen. Jede wissenschaftliche Disziplin als organisatorische Trennung der 
Erscheinungen geht darum aber auch in ihren Grenzgebieten über in andere Dis- 
ziplinen, und die wissenschaftlichen Grenzbetrachtungen einer Disziplin werden mit 
gleichem Rechte als zur Nachbardisziplin gehörig angesehen werden können. Da- 
mit aber wird auch jede erschöpfende wissenschaftliche Betrachtung als zur Totali- 
tätsbetrachtung hinstrebend über sich hinausweisen; so leitet die Rechtswissenschaft, 
die Form gesellschaftlicher Inhalte behandelnd, zu soziologischer Betrachtung als 
Betrachtung der Rechtsinhalte ohne Zwang hinüber. Es bedeutet aber soziologische 
Betrachtung rechtlicher Phänome mehr als bloße Grenzbetrachtung. Die dogma- 
tische Rechtswissenschaft als Teil der Rechtswissenschaft bedarf der soziologischen 
Ergänzung, weil, wie bereits bemerkt, das Recht nur die Form für wirkliches gesell- 
schaftliches Rechtsleben ist und darum eine Erörterung ‚„‚verstehender Soziologie‘ 
der dogmatischen Erörterung als notwendige Fundierung sogar wird vorangehen 
müssen. Auch um dessentwillen, weil die Rechtsanwendung die Kenntnis der sozio- 
logischen Beziehungen des Menschen voraussetzt.
	        
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