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RıcHARD MARCUSE:
Die Ausgestaltung des Koalitionsrechtes im geltenden
Recht).
Von Gerichtsassessor RICHARD MARCUSE-Berlin.
Die Aufgabe, die mir für den heutigen Abend gestellt ist, besteht in der Dar-
stellung der näheren Ausgestaltung des Vereinigungsrechtes im geltenden Recht,
also des Inhalts des Art. 159 RV. in seinen Einzelheiten und des Verhältnisses
lieser Bestimmung zu anderen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere zu $ 152
Gewerbeordnung.
8159 RV. bestimmt, daß das Vereinigungsrecht für jedermann und für alle Be-
rufe gewährleistet ist. Der Fortschritt gegenüber dem $ 152 GewO. besteht darin,
Jaß dieses Recht jetzt für alle Berufe gilt, während es sich nach dieser Vorschrift
aur auf gewerblich tätige Personen erstreckte. Das sind solche, die der GewO. unter-
stehen. Hierzu gehören Gewerbegehilfen, Werkmeister, ferner Techniker, Haus-
zewerbetreibende, endlich auch die dem Handelsrecht angehörenden Personen;
denn das Handelsgewerbe fällt im allgemeinen unter die GewO. und eine Bestimmung,
welche den $ 152 GewO. als nicht anwendbar auf dasselbe erklärt, ist nicht vorhanden.
Kraft ausdrücklicher Vorschrift des 8 154 GewO. fallen auch die Bergarbeiter unter
5152 GewO. Dagegen gehören nicht hierher die Hausangestellten, die Landarbeiter,
die Angestellten der freien Berufe, die Beamten, sowie die Bemannung der See-
schiffe. Damit soll nicht gesagt sein, daß allen diesen Berufen vor Inkrafttreten
der RV. die Vereinigungsfreiheit versagt gewesen ist. Es bestand nur keine reichs-
rechtlich oder sonstwie geschützte Freiheit. Daher konnte jede Landesgesetzgebung
Jiesen Berufen, was tatsächlich auch teilweise geschehen ist, die Koalitionsfreiheit
antziehen, während dies für die der GewO. unterstehenden Personen nur durch Reichs-
gesetz erfolgen konnte. Heute ist eine Änderung des für alle Berufe gleichmäßig
geltenden Vereinigungsrechtes nur auf Grund eines verfassungsändernden Gesetzes
möglich. Aber auch objektiv reicht dieses Recht heute weiter als in $ 152 der GewO.
Hier wird von Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen gesprochen,
während 8159 RV. Vereinigungen schützt, die sich zur Wahrung und Förderung
der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenschließen. In $ 152 handelt es
sich um günstige Bedingungen in dem Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Ar-
beitnehmern, wenn auch die Koalition nicht für sich zu handeln braucht, sondern
für soziale Genossen, z. B. wenn sie bezweckt, andere Berufsgruppen im Fall eines
Streiks zu unterstützen. Der $159 RV. geht weiter. Arbeits- und Wirtschafts-
bedingungen sind schon rein sprachlich etwas anderes als Lohn- und Arbeitsbedin-
gungen. Das Ziel der Vereinigung ist hier die Förderung der allgemeinen Lage des
einzelnen als Arbeitender überhaupt. Sie ist nicht beschränkt auf das Verhältnis
von unselbständigen Erwerbstätigen im weitesten Sinne zu den Inhabern der Pro-
duktionsmittel. Sie kann auch, worauf GRoH (S. 11) aufmerksam macht, bei der
Vergebung selbständiger Arbeit gegen einen sozialen Faktor in Erscheinung
treten. GROH weist auf das Verhältnis der Ärzte zu den Krankenkassen hin (a. a. O.).
Das Kriterium, wodurch sie sich von anderen Gemeinschaften unterscheidet,
ist aber auch hier, wie in $ 152 GewO. stets, daß ein sozialer Gegenspieler vor-
handen sein muß. Als solcher kann bei sozialpolitischen Bestrebungen auch der
Staat angesehen werden. Daher würde ich z. B. eine Vereinigung von Arbeit-
nehmern, die es sich zum Ziele macht, durch Änderung der Gesetzgebung auf
wirtschaftlichem Gebiete die Lage der Arbeitenden zu verbessern, hierzu rechnen.
1) Literatur: GRoH: Koalitionsrecht. — ERDMANN: Ist 8 152 Abs. 2 durch Artikel 159 RV.
aufgehoben? im Arbeitgeber 1923 St. 48, — ANSCHÜTZ, Dr. GERHARD: Die Verfassungsurkunde
des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. — GıiEsE: Die Reichsverfassung. — SINZHEIMER:
ZIrundzüge des Arbeitsrechtes.