Full text: Die baltische Wirtschaft

ESTLANDS WIRTSCHAFT IM JAHRE 1927 
EIN VUEBERBLICK UEBER EINIGE BEDEU "ENDE WIRTSCHAFTSZWEIGE 
Das vergangene Jahr brachte in Estland, sowie 
Iberhaupt in den Baltischen Staaten keine tiefeinschnei- 
denden Ereignisse; dafür war es ein Jahr der weiteren 
Stabilisierung und, dadurch, eine weitere Grundlage für 
die günstige wirtschaftliche Entwicklung in der Zu- 
kunft. Diese letzte Feststellung kann bereits an der 
Hand der bereits vorliegenden Resultate für das erste 
Vierteljahr 1928 als richtig bewiesen werden; verschie- 
dene Monatsabschlüsse der estnischen Wirtschaft zei- 
gen überaus günstige Zahlen: es genügt z. B. auf den 
Export im März 1928 hinzuweisen, dessen Zahl über- 
haupt bis jetzt das größte von Estland auf dem Gebiete 
der Ausfuhr Erreichte darstellt, 
Im Jahre 1927 interessiert uns zunächst der G e 1 d- 
amlauf, Die hierüber . vorliegenden Ziffern sind 
überaus günstig. Was zanächst die Entwicklung der 
Staatsfinanzen Estlands im Laufe der letzten Jahre an- 
belangt — die Entwicklung, die zur Einführung der 
Krone. geführt hat, zitieren wir einen Abschnitt aus 
ainem Artikel des estnischen Pressechefs M. Meri (im 
„Baltischen Almanach für das Jahr 1928“, Baltische 
Yresse, Danzig), der den Werdegang der Krise und ihre 
Behebung in Ziffern kleidet: 
„1918/19 war die estnische Regierung vor die Auf- 
gabe der Finanzierung des Freiheitskrieges gestellt 
worden, ohne irgendwelche finanzielle Einkünfte zu 
besitzen. Der erste Notbehelf war eine kleine finnische 
Anleihe. Erst 1920 ‚als Estland auf Grund des Frie- 
jensvertrages von Tartu die Summe von 15 Millionen 
Goldrubeln erhielt, konnte man an eine Ordnung der 
Staatsfinanzen denken. Im folgenden Jahre machte 
man einen energischen Versuch die Vorschläge 
der Brüsseler Finanzkonferenz durchzuführen und 
1922 erzielte der Staatshaushalt bereits. einen 
Veberschuß von ca. 1,6 Milliarden Mark. Fast 
alle darauffolgenden Finanzjahre haben. Ueberschüsse 
von ca. 300 Millionen Mark ergeben, die sämtlich der 
Volkswirtschaft zugeführt wurden. Nur 1924, als Miß- 
ernte, vereint mit den Folgen der mitteleuropäischen In- 
Hation, in Estland eine Wirtschafskrise hervorrief, 
mußte sich der Staat mit einem geringeren Ueberschuß 
jegnügen (67,7 Millionen Mark). 
” Größer waren die Folgen dieser Krise für die 1919 
gegründete Eesti Bank. Zur Belebung der Wirtschaft 
und insbesondere der schweren Industrie mußte sie ca. 
5 Milliarden Esti Mark in den Unternehmungen leih- 
weise investieren. Infolge der schlechten Konjunktur 
1923/24 war ein Teil der Kredite zugefrorea, die Zen- 
tralbank litt an Geldmangel und die Folgen ihrer kredit. 
geberischen Tätigkeit schienen die Währnung in’ Mit- 
leidenschaft zu ziehen. Eine Bank- und Währungs: 
reform größeren Umfangs schien demnach absolut not- 
wendig. Um Mittel zu ihrer Finanzierung zu erlangen, 
wandte sich Estland an den Völkerbund. Am 10. De- 
zember 1926 unterschrieb Finanzminister Sepp .die 
Genfer Protokolle, laut, derer der Völkerbundrat eine 
Garantie für eine internationale Anleihe von 1350 000 
Pfund Sterling netto übernahm. Die Anleihe wurde im 
juni 1927 emittiert, wobei die englische Tranche in 
London binnen einiger Minuten zwöltmal überzeichnet 
wurde. Dieser Erfolg bewies, daß der Weg über den 
Völkerbund der richtige gewesen war. ‚Anfang Dezem- 
ber 1927 erließ die Regierung eine Verordnung, wonach 
ab 1. Januar 1928 die estnische Krone (kroon) gleich 
100 EMk. als Valutaeinheit eingeführt wird, Der Fein- 
goldgehalt einer E. Kr. entspricht dem einer skandina- 
vischen Krone,“ 
Was im allgemeinen die Bilanz der estni- 
schen Banken im Jahre 1927 anbelangt, so ver- 
zeichnen wir in erster Linie als günstiges Resultat die 
1öhe des Nettoverdienstes, Er betrug: 
Am 1. Dezember 1927 — 208 000 000 Eestimark, 
dafür aber $> ; 
Am 1. Dezember 1926 — 187 000 000 Eestimark. 
Die Banken arbeiten also durchaus mit Gewinn. In 
der gleichen Weise ‚ist die Gesamtsumme der Bank- 
xapitale im Vergleich zu 1926 gestiegen. Die 21 in die 
Bilanz einbezogenen Aktienbanken erwiesen 
1926 Eigenkapitalien — 994000000 EM. 
1927 » — 1042000000 „ ; 
Die Konto- und Spartätigkeit nahm nach der {fol- 
zenden Tabelle zu (Ziffern in Millionen Eestimark) * 
1926 1927 
Befristete Einlagen 511 763 
Zinlagekontis mit tägl. Kündigung 1727 2 262 
Konto-Korrentrechnungen 135 „211 
Diese Posten geben im Jahre 1927 zusammen Ein- 
ıaagen in der Höhe von 3236 000 Eestimark im Ver- 
gleich zu 2373 000 000 im Vorjahre., Ueber die wei- 
teren Bilanzposten der estnischen Banken zitieren wir 
nach der estnischen Presse: „Der verstärkte Zustrom 
iremder Gelder belebte die Aktivoperationen der Ban- 
zen. Die gesamten Darlehen stiegen auf 5565 Mill. 
EM., d. h. 26,3 % (ausländische Wechsel von 427 auf 
558 Mill., inländische Wechsel von 1086 auf 1413 Mill., 
Kontokorrente von 2703 auf 3307 Mill. EM.). Die Gut- 
haben bei Korrespondenten erhöhten sich von 357 auf 
332 Mill... davon in der Hauptsache die Guthahen im 
Ausland. Die Nettoverschuldung der Banken an Has 
Ausland hat eine stark wechselnde Bewegung aufzı- 
veisen. ie Banken genießen guten Kredit im Aus- 
and, den sie je nach Bedarf in Anspruch nehmen. Am 
ı. Dezember 1926 machten die kurzfristigen Auslands- 
verpflichtungen insgesamt 876 Mill. EM. aus, am I, 
Mai 1927 1312 Mill., am 1. Dezember 1163.“ 
Die estnische Staatsfinanzgebarung möchten wir 
Her an Hand zweierlei Ziffern schildern: jener‘ der 
;taatsschuld und der Staatseinnahmen. Die Staats- 
'chuld Estlands betrug am 1. Januar 1927: 
Innere: am 1. Juli 1926 — 100 Millionen EM., am 
Januar 1927: 79 131 000 EM. 
Aeußere: am 1, Juli 1926 — 8 149 967 268 EM., 
m 1. Januar 1927; 8 185 287 449 EM. 
Aeußere Schuld am 1. Dezember 1926 spezifiziert: 
an Großbritannien (I) 1166200 -£ 
am 1, Januar 1927 1 159.647 £ 
an Großbritannien (I) 130000 £ 
am 1, Januar 1927: 130000 £ 
an U. S. A, 13830000 $ 
am 1, Januar 1927 15477927 $ 
an Schweden 708 172,95 Schw. Kr. 
am 1. Januar 1927 986 398,96 Schw. Kr. 
Völkerbundanleihe, Unterfertigt am 10. Dezember 
926 — 1350000 £. 
Die Markziffern in Kronen umgerechnet. lassen 
m Vergleich mit dem Stand vom 1. Januar 1928 {fol- 
senden Vergleich anstellen: „Die Staatsschulden be- 
üfferten sich zum 1, Januar 1928 auf 115,1 Mill. Kr., 
jegen 103,6 Mill. Kr. am 1, Januar 1927 und 112,1 Mitl. 
Xr, am 1, Januar 1926. Davon sind 5063 Mill. innere 
ichulden gegen 110 .Mill. auswärtige. Hiervon ent- 
allen auf England 35,6 Mill. Kronen, Vereinigte Staa- 
en 73,9 Mill. Kr., Schweden (Warenkredit) 0,9 Mill. 
{r. Die innere Schuld setzt sich zusammen aus: 647,1 
Mill. Kr. staatliche Prämienanleihe, 4,4 Mill. Kr. Staats- 
sassenscheine als Scheidegeld und 3,9 Tausend Kr. 
Xassenwechsel.“ 
Die Staatseinnahmen und Ausgaben stellen sich 
926/27 und zwar im Vergleich zu den Vorjahren wie 
olgt dar (Eestimark, 00.000. weggelassen): 
Einnahmen: 1920 — 2 611,4 1921 — 5 476,3, 1922 
— 7083,8, 1923 — 7 734,7, 1924 — 7 475,5, 1925 — 
7 750,7, 1926/27 — 7 848,5. 
Ausgaben: 1920 — 3 241,4, 1921 -— 6.582,4, 1922 
— 5517,3, 1923 — 7079,2, 1924 — 7 407,8, 1925 — 
"417,2, 1926/27 — 7 848,5. 
Die Ziffern der Staatsschuld zeigen uns eine sehr 
jünstige Tendenz, die bis zum Budget des Berichts- 
ahres andauert: die Staatswirtschaft schloß stets mit 
nem kleinen Ueberschuß, was um so bedeutender ist, 
ıls Estland im Laufe der letzten Jahre eine sehr große 
zumme — ca. 3 000 000 000 Eestimark — für Inve- 
ititionen auf dem Gebiete der Volkswirtschaft aus- 
‚elegt hat. Mit dem Berichtsjahr setzt die Tendenz, 
vie wir sehen werden, aus: das Budget für 1928/29 
st nicht nur das erste Budget in Kronenwährung, son- 
lern auch das erste, das ein Defizit — es beträgt zwei 
Aillionen — vorsieht. (Dieses Defizit ist in erster 
zinie durch den Ausbau der Verkehrsstraßen verur- 
sacht, der ca. .1 Million in Anspruch nehmen dürfte). 
loffen wir, daß in Bezug auf die Struktur des estni- 
ichen Budgets die Jahreswende 1927/28 keine grund- 
ätzliche Aenderung bedeutet, und das gegenwärtige 
‚ahr mit seinem, wenn auch. unscheinbaren Defizit. 
ne Ausnahme bildet. 
Die Außenhandelsbilanz der estnischen Republik 
m Jahre 1927 wollen wir ebenfalls jm Zusammenhang 
nit den vorhergehenden Ziffern darstellen. Ab- 1920 
zestaltete sich die Handelsbilanz Estlands wie folgt 
(Ziffern v. 1920/26 aus dem „Baltischen Almanach‘), 
lie Ziffern in Tausend EMk., wobei die eingeklammer- 
e Ziffer neben der Jahreszahl den durchschnittli- 
‘hen Dollarwert im hetreffenden Jahre in EM. bedeutet: 
1920 (232) 1921 (361) 
1395185 4482 607 
1228379 . 2286638 
—166 806 —2 195 969 
1922 (340) 1923 (345} 
Einfuhr 5589414 09323279 
Ausfuhr 4811580 5711596 
Saldo —777 834 —3.611 683 
1924 (389) 1925 (375) 
Einfuhr 8204209 09654625 
Ausfuhr 7865790 9664618 
Salde —338 419 +9 993 
1926 (375) 
Einfuhr 9 556 975 
Ausfuhr 9 623 603 
Salcdıaa ‘LA RAR 
Was nun das Jahr 1927 anbelangt, so stellen sich 
lie Ziffern wie folgt — und zwar in Kronen (unter 
lieser Form sind die Ziffern veröffentlicht worden) 
= Aare 
Im port-— 369 000 Tons im Wert von 96 430 000 
Kr. (das Vorjahr 1926 in Kr. umgerechnet: 393 000 
Tons im Werte von 95 560 000 Kr.); 
Export — 525000 Tons im Werte von 
105.780 000 Kr. (das Vorjahr 1926 in Kr. umgerechnet: 
138 000 Tons im Werte von 96 380 000 Kr.). 
Die Aktivität dieser Bilanz wurde von der Presse 
wie folgt kommentiert: 
Der Ausfuhrüberschuß beträgt 1927 — 9350 000 
Kr, Dieser Erfolg ist als das Resultat der Produktions 
;teigerung der Wirtschaft im Jahre 1927 zu buchen. 
Das Hauptexportgut sind Butter (9906 Tons) im 
Werte von 27 660 000 Kr. und andere Produkte der 
Viehzucht und Landwirtschaft (Flachs, Kartoffeln, Kar- 
offelmehl). Außerdem Holz und Holzwaren, Zellulose 
ınd Holzmasse, Papier, Textilwaren. 
. Nach Estland wurden hauptsächlich importierfr 
Getreide, Mehl, Kraftfutter, Zucker, Heringe, Baum- 
wolle, Kohle, Metalle, Oele, Häute, Textilwaren, künst- 
liche Düngemittel und Chemikalien, Maschinen. 
Mehr. als die Hälfte aller importierten Waren 
commt aus England, Deutschland und den Vereinigten 
Staaten, etwa ein Drittel aus den skandinavischen Län«- 
lern und den Nachbarstaaten. Der deutsche Handel 
st zum Teil Transithandel. (Der Anteil Deutschlands 
ın der estnischen Einfuhr ist im Jahre 1927 zurückge- 
zangen). Englands Anteil vergrößerte sich dank der 
zesteigerten Einfuhr von Eisenbahnmaterial und Kohle, 
der Handel aus den ‚Vereinigten Staaten belebt sich 
lurch die Zunahme des Imports von Oel, Getreide und 
Automobilen. Aus Rußland werden Getreide, Oel! und 
<olonialwaren hereingeholt . 
Der Export Estlands geht zu 60 Prozent nach Eng- 
and und Deutschland und zu fast 30 Prozent an die 
;kandinavischen Länder und die Nachbarstaaten. Eng- 
and kauft hauptsächlich Holzwaren, Flachs und 
*leisch; Deutschland Butter, Textilwaren usw. Die 
\usfuhr nach der UdSSR., die im Vorjahre im erhöhten 
Maße Leder und Textilwaren aus Estland kaufte, ist im 
vergangenen Wirtschaftsjahr stark zurückgegangen. 
Die günstige Entwicklung des Außenhandels hat 
ihre Einwirkung auf dem Gebiete des Zollwesens ge- 
habt. 1924 war in Anbetracht der bis dahin passiven 
dandelsbilanz eine starke Zollerhöhung eingetreten, so 
laß der Zolltarif in einzelnen Positionen Prohibitivcha- 
'akter trug. Ende 1927 wurde mit der Herabsefzung 
ler Zollsätze begonnen. Von den Zolleinnahmen sind 
»twa 30. Prozent Schutzzölle für die einheimische Indu- 
strie.. Ein Vergleich mit den Zollsätzen der übrigen 
ı1enen Staaten zeigt, daß die estnischen nicht als hoch 
zu bezeichnen sind. Wenn durch Zollmaßnahmen eine 
Zinengung des Imports bewirkt werden mußte, so ge- 
schah dies zur Ausmerzung von finanziellen Schwierig- 
ceiten in der Uebergangszeit der volkswirtschaftlichen 
Sntwicklung. Wenn eine Herabsetzung der Zölle vor- 
zenommen wird, so steht sie stets in engstem Zusam- 
nenhang mit der Entwicklung der Staatsfinanzen. 
Eine wichtige Stelle im estnischen Handelsleben 
ummt .das Holz ein, dessen Anteil am estnischen 
3xport mit 20 Prozent zu bewerten ist. Es handelt sich 
ıer - selbstverständlich durchweg um. die heimische 
?>roduktion, die auf einen Waldbestand von 946 000 ha 
22 Prozent der Gesamtfläche Estlands) basiert ist. 
‚Hauptsächlich Kiefer — 40 Prozent — und Fichte — 
31 Prozent.) Ueber den estnischen Holzexport (mit 
\usnahme der Ausfuhr von Sperrplatten und Stuhl- 
jitzen) wurde folgende statistische Tabelle publiziert; 
lie die Entwicklung dieses Exportzweiges im Laufe der 
letzten Jahre zeigt: (Die Ziffern bedeuten Standards.) 
Rretter und 
Planken Balken Schwellen 
38 727,7 22 507,7 1 971,0 
46 888,2 33 635,1 951,6 
56 563,9 19 711,2 2 201,5 
68 423,2 18 540,9 1.207,1 
53 353,3 27 071,8 1 365,2 
Klötze and. Hölzer insgesamt 
506,0 66,6 64 779,0 
250,4 22,7 81 748,0 
458,6 139,5 79,164,7 
1 210,9 27,2 89 409,3 
1 930.1 2 152,0 95,881,4 
1923 
1924 
1925 
1926 
1927 
1923 
1924 
1925 
1926 
19927 
Der Wert dieser Ausfuhr war, in die nenne Kranen- 
währung umgerechnet, folgender: 
1923 11.600.000 Kr., 
1924 12.400.000 ‚,, 
1925 ; 12.100.000 
1926 13.300.000 ‚,, 
1927 14.100.000 
Aus diesen Ziffern ist die langsam steigende Ten- 
denz der Holzausfuhr Estlands deutlich zu erkennen, 
Der Hauptabnehmer dieser Quanten ist selbstverständ- 
ich Großbritannien (70 bis 85 Prozent der Gesamt- 
holzausfuhr, je nach den einzelnen Gattungen), ziemlich 
weit zurück stehen als nächste Belgien, Holland und 
andere Staaten. Ebenfalls wichtig ist der Anteil Groß- 
Yritanniens an der Finanzierung der estnischen Holz- 
firmen. Es genügt, auf die Sägewerke der Luther A.-G. 
hinzuweisen, die mit ihren 2000 Arbeitern eine überaus 
vichtige Stellung in der estnischen Holzindustrie ein- 
Ymmt.
	        
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