3. Schlußfolgerungen für die Organisation des Geld- und
Kapitalmarkts.
Es handelt sich in diesem Kapitel um die rein betriebswirtschaftliche Frage-
stellung, welche Folgen entstehen aus den Reparationen für die Organisation des
Geld- und Kapitalmarkts1) bzw. welche organisatorischen Maßnahmen kommen in
Frage, um diesen Folgen zu begegnen?
Zu dieser Frage wird man als Wirtschaftswissenschaftler gedrängt durch die
täglichen Notizen und Meldungen der Tagespresse über unseren Gegenstand. So
bringt z. B. die Frankfurter Zeitung?) in ihrem Bankbilanzbericht die
Schlagzeile „35 0 Auslandsverbindlichkeiten‘“. Die Gesamtkreditoren der sieben
Berliner Großbanken hätten sich von 6528 auf 8128 Millionen Reichsmark per
L. Januar 1928 vermehrt, und von diesem Kreditorenzuwachs entfielen nicht weniger
als 11/4 Milliarden Mark auf die Steigerung der Auslandsanlagen, welche für
lie sieben Banken per Ende 1927 auf mindestens 23/, Milliarden Mark, über-
wiegend in Valuta, zum Teil in Mark laufend, also auf 35 % der vorstehenden
8,1 Milliarden Gesamtkreditoren zu schätzen seien, Das ist allerdings eine unge-
heuere Veränderung gegenüber früheren Wirtschaftsverhältnissen und der sichtbare
Ausdruck für die in den vorangegangenen Kapiteln von uns dargelegte Situation auf
dem Geld- und Kapitalmarkt. Oder man erinnere sich an den neuen Typ von
Kapitaltiteln, die kommunalen „Schatzanweisungen“, oder daran, daß Anfang
Mai d. J. Schuldverschreibungen der Stadt Köln, die sie gegen eim bei einem Ber-
liner Bankhaus aufgenommenes Darlehn ausgestellt hatte, in Form von Zertifikaten
ohne Wissen der Stadtverwaltung in Amsterdam und Rotterdam aufgelegt worden
sind und daß auf diese Weise die Zustimmung der Beratungsstelle für Auslands-
anleihen umgangen worden ist.
Die Frage nach den Folgen für den Geld- und Kapitalmarkt gründet sich
auf die Notwendigkeit, daß das dem Ausland in Deutschland
im Wege der Reparationszahlungen zuwachsende Kapital in kurzfristige
und langfristige Anlageform geschieden werden muß. Wie wir
sahen, befindet sich das durch die Zwangssparkasse des Reparationsagenten ge-
bildete Kapital in der konkreten Gestalt von Kisten, Fässern, Ballen, Maschinen,
Fundamenten usw. in Deutschland. Von dem Wert dieser Güter bzw. dem Wert
der dahinter stehenden ausländischen Kapitalrechte müßten, sagen wir einmal,
17/,p die juristische Form langfristiger Kapitalanlage, also die Form von Aktien,
Obligationen, Hypotheken usw., und 3/,p die juristische Form kurzfristiger An-
lage, z. B. in Form von Wechselakzepten, Bankkrediten usw. haben, damit Form
und Inhalt, damit die juristische Kontraktform und. die aktivische Verwendungsform
des investierten Geldes in einer verkehrsüblichen Harmonie zueinander ständen,
Statt dessen ist es umgekehrt, etwa so, daß — schematisch ausgedrückt — 17/,0
der in Deutschland beschäftigten Auslandskapitalien kurzfristig kontrahiert sind
und nur 3/9 eine langfristige Konsolidierung bis jetzt erfahren haben, Selbst-
redend ist das eine ungeheuerliche Verkehrsstörung, die, wie wir gesehen haben,
im wesentlichen auf falschen ökonomischen Vorstellungen und psychologischen
1) Die Arbeit ist letztlich aus einem Vortrag hervorgegangen, den ich unter dieser Über-
schrift im Oktober 1927 in Karlsruhe gehalten habe,
2) Frankfurter Zeitung vom 14. März 1928.