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1. Der Begriff des Verstehens
Von der Eigenart der Erkenntnisweise, die wir ‚Verstehen‘ nennen,
hat die ganze Richtung der Nationalökonomie, um deren Klarstellung
es mir in diesem Abschnitte zu tun ist, den Namen „verstehende‘‘
Nationalökonomie erhalten. Es ist darum von ganz hervorragender
Wichtigkeit, daß wir uns mit dem Begriffe des Verstehens gut und
vollständig auseinandersetzen, das heißt also uns die Eigentümlich-
keiten der verstehenden Erkenntnis klar zum Bewußtsein bringen
als derjenigen wissenschaftlichen Erkenntnisart, die den Kultur-
erscheinungen gegenüber ebenso am Platze ist wie das „Be-greifen“.
das heißt das äußerliche Ordnen gegenüber den Naturerscheinungen.
Worin der grundsätzliche und tiefe Unterschied zwischen Natur-
erkennen und Kulturerkennen besteht, werden wir am besten einzu-
sehen vermögen, wenn wir zunächst einmal eine Reihe von Erkenntnis-
problemen der Natur und der Kultur (die ich hier nur in ihrer
sozialen Gestalt in Rücksicht ziehen will) ähnlichen Inhalts gegen-
überstellen und auf ihren Gehalt hin prüfen.
Es seien die Aufgaben gestellt: zu erkennen auf dem Gebiete der
Natur: Kultur (Gesellschaft):
t. das Durcheinanderspringen von: ıa das Durcheinanderspringen
Kätzchen auf dem Boden; von Fußballspielern auf der
Sportwiese;
2. die Umdrehung der Erde um 2a das Kreisen des Tänzers um
die Sonne; die Tänzerin:
3. das Durcheinanderschwatzenin 3a das Durcheinanderschwatzen
einer Versammlung von Staren in einer Ansammlung von
vor ihrem Abzug; Menschen;
4.das Durcheinanderlaufen der 4a das Durcheinanderlaufen der
einzelnen Ameisen in einem Menschen in der Straße einer
Ameisenhaüfen; Großstadt;
5..die Bildung einer „Phalanx‘‘ 5a die Bildung einer Phalanx im
fliegender Wildgänse; Hoplitenheere;
5. die Entstehung eines neuen Ba die. Entstehung eines neuen
chemischen Körpers durch Ver- Unternehmens durch Fusion
einigung zweier Elemente. zweier alter Unternehmungen.
Sombart, Die drei Nationalökonomien 13