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Soviel ich sehe, sind für die Berechtigung oder sogar Notwendig-
keit der Hereinziehung der Soll-Sphäre in den Bereich der Erkennt-
nis — was, wie noch zu zeigen sein wird, gleichbedeutend ist mit
dem Anspruch des Theoretikers, Werturteile zu fällen — vier Be-
weise aufgestellt worden, die wir als den logischen, den erkenntnis-
theoretischen, den ontologischen und den pragmatistischen bezeich-
nen können.
Der logische Beweis ist dieser: Die Wirtschaft ist ein Gebiet des
menschlichen Handelns. Alles Handeln untersteht Normen, gründet
auf Werturteilen. Also hat die Lehre von der Wirtschaft diese
Normen und Werturteile in den Bereich ihrer Betrachtung zu ziehen.
Kein Nagel, hat Schmoller einmal gesagt, wird ohne Ethik in die
Wand geschlagen. Und wir sollten ethische Erwägungen aus unserer
Wissenschaft ausschließen? Die Nationalökonomie ist eine „ethische
Wissenschaft‘, weil die ‚„Naturgesetze‘“ der Ökonomie den Impera-
tiven üuhd Normen der Ethik unterliegen. Ökonomie und Sittlichkeit
bedingen und stützen sich gegenseitig so stark, daß es „keine ökono-
mische Handlung gibt, die, wenn sie wirklich unsittlich, nicht auf die
Dauer auch ökonomischen Schaden stiftete“, Ähnlich führt den
Beweis Gustav Cohn: „Wenn die Ethik nichts anderes ist als die
Darstellung der handelnden Vernunft, so muß von vornherein die
Ausscheidung irgend eines einzelnen Stückes menschlichen Handelns
aus der Ethik nur vermöge eines Denkfehlers möglich sein, welcher
den Teil dem Ganzen. entgegensetzt... Gehört das ökonomische
Handeln in das Gebiet des vernünftigen Handelns, das heißt in die
Ethik hinein, so kann es notwendigerweise nichts anderes sein als
ein Teil der Ethik (!).‘“% Alles Seiende war einmal ein Sein-Sollendes.
Wenn ich also vom Seienden handle, handle ich auch von einem Sein-
Sollenden, nur einem vergangenen: warum soll ich den Strom des
Sein-Sollenden an einer Stelle (in dem Augenblicke, in dem ich ur-
teile) unterbrechen und die Erörterung, was in der Zukunft sein
soll, ausschließen?
% Gustav Schmoller über die Arbeiterfrage in den „Preußischen Jahr-
üchern‘“ XIV (1864), 418, 536.
6 Gustay Cohn, Grundlegung der Nationalökonomie ı (1885), S. 738.