20
Gehen wir zu den klinischen Symptomen der acuten Anilinvergiftungen
über, so müssen wir in erster Linie die lokalen und die allgemeinen, durch das
lilut vermiltelten Wirkungen unterscheiden. Die lokale Wirkung auf den Ort der
Application ist gering und ist begründet in der Eigenschaft des Anilins, Eiweiss
lösungen zum Gerinnen zu bringen. Sonnen kalb fand, dass 1 g Anilin 4 g
Eiweiss coagulirten und dass diese Eigenschaft weder dem Kitrobenzol noch dem
Benzol zukomme. Trotzdem sind die localen Erscheinungen gering und wenn
auch die Einverleibung grösserer Mengen per os gastroenteritische Erscheinungen
veranlassen kann, so ist dies doch, wie die Versuche von Bergmann bei Thieren
beweisen, höchst selten.
Ungleich wichtiger sind die Symptome der allgemeinen Wirkung des Ani
lins. Diese bieten eine Kette graduell verschiedener Erscheinungen dar. welche
zwischen einer in wenigen Stunden vorübergehenden, leichten Gesundheitsstörung
und den schwersten, mit dem Tode endigenden Symptomen variiren.
ln den leichtesten Fällen, wie man solche an heissen Tagen in
den Reductionsräumen nicht selten zu beobachten bekommt, überfällt
den in einer mit Anilindämpfen geschwängerten Atmosphäre be
schäftigten Arbeiter ein Gefühl von Müdigkeit und Schwäche; der
Kopf ist eingenommen; die Augen sind matt; der Gang ist taumelnd,
unsicher; die Bewegungen haben ihre Elasticität verloren; die Sprache
ist langsam, schwerfällig; der Zustand gleicht dem einci leichten
Trunkenheit; die Gesichtsfarbe ist fahl, blass; der Lippensaum ist
bläidich; der Appetit fehlt vollständig, ln einzelnen Fällen klagen
die Kranken über Flimmern vor den Augen, in anderen ist der Drang
zum Urinlassen vermehrt; der Urin selbst erscheint dunkel, ohne
jedoch Anilin zu enthalten. Symptome einer Reizung der Schleim
häute der Athmungswerkzeuge boten unsere Beobachtungen in keinem
Fall und stimmen dieselben somit mit der Ansicht von Hirt überein,
welcher die von Friedrich, Rörig u. A. beobachteten Bronchial-
catarrhe und deren Folgezustände nicht auf Rechnung des Anilins,
sondern auf die anderer Schädlichkeiten in spec, von Säuredämpfen,
wie solche bei dem Darstellen von Anilinfarben verkommen, schreibt.
ln anderen Fällen ist der Verlauf ein anderer. Die Arbeiter
empfinden von ihrer Intoxication mit Anilin gar nichts und nur die
Umgebung, in spec, die Aufseher, welche in dieser Richtung instruirt
sind, sehen die Lippen blau werden. Fragt man dann einen solchen
Arbeiter, ob er sich unwohl fühle, so verneint er diese Frage; es
fehlen somit in diesen leichtesten fällen alle subject!ven Störungen,
und die Anfälle gehen, sowie die vorher beschriebenen, in wenigen
Stunden vorüber, wenn der Erkrankte die anilinhaltige Atmosphäre