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dem unbeschrän kten Arbitrium des Richters über-
lassen. —
Der obige Passus ist in den legislatorischen Quellen nicht
weiter motivirt; er verdankt mit dem ganzen § 7 seine Existenz
der Redaction des Gesetzes, wie sie von der sogen, „freien
Commission" des Reichstags unter Leitung des Abgeordneten
Lasker*) übernommen und im Reichstage durchgesetzt wurde.
Ob der Richter die bestehenden Vorschriften der Landes
gesetze über die gegenseitige Vertretung der Arten der Cau-
tionen berücksichtigen soll, ist iu dem Hastpflichtgesetze nicht
bestimmt, also sein Ermessen auch in dieser Richtung völlig
frei. In den Particularrechten Deutschlands sind, unter be
stimmten Voraussetzungen, folgende Arten der Sicherhcitsbe-
stellung zugelassen: durch Unterpfand und zwar beweglicher
oder unbeweglicher Sachen (Faustpfand, Depositum, Hypothek);
durch Bürgen; durch Eidesleistung. —
4. Der Beschädigte oder Haftpflichtberechtigte kann für
seinen Verlust an Erwerb durch Capital oder Rente abge
funden werden. Da der Erwerb dem Wesen der Rente am
meisten entspricht, bietet sich der Ersatz seines Verlustes ganz
natürlich in Form einer Rente dar: wie der Verlust, so
der Ersatz. —
Wenn es demnach gesetzlich zur Regel gemacht wird, daß
für den Verlust des Erwerbes eine Rente zuerkannt werden
soll, so liegt diese Gesetzbestimmnng ebenso sehr in der Natur
dessen, um was es sich handelt im Interesse des Beschädigten,
als auch in der Natur der Leistungen, welche an die Stelle
des Schadensersatzes nach § 4 des Haftpflichtgesetzes treten:
die Leistungen der dort bezeichneten Anstalten und Kassen haben
fast durchweg die Natur der Rente, so weit es sich um In
validenlöhne, dauernde Unterstützungen rc. handelt. Schon
§ 4 gebot dem Schadensersatz die Form der Rente.
Der Richter kann und muß aber nicht in allen Fällen
auf Rente erkennen, vielmehr finden folgende Ausnahmen statt:
a. Wenn beide Theile, d. h. der zum Schadensersatz Ver
pflichtete und Berechtigte, über Abfindung in Capital einver
standen sind, so muß der Richter auf Capitalabfinduug erken
nen. Diese Beschränkung des richterlichen Ermessens hat ihren
Grund in der Natur des beiderseitigen Einverständnisses und
Uebereinkommens der Parteien: dasselbe hat die Kraft eines
Vergleichs und einem Vergleiche zu widersprechen, hat kein
Richter ein Recht. —
b. Liegt ein solcher Vergleich nicht vor, so hat der Rich
ter vom Gesetze nur die Anweisung erhalten, „in der Regel"
auf Rente zu erkennen. Von der Regel Ausnahinen zu machen,
ist dem richterlichen Ermessen nach Maßgabe des § 6 freigestellt.
5. Im Alinea 2 und 3 des ß 7 sind ganz abnorme
Rechtsverhältnisse geschaffen. Das rechtskräftige Urtheil, res
judicata, bildete bis jetzt die allgemeinste, zweckmäßigste, wirth-
schaftlichste Grundlage des Civilrechts und seiner concreten Er
scheinungen im wirklichen Leben. Diese Grundlage ist für
Haftpflicht-Verbindlichkeiten und Berechtigungen in § 7 er-
*) In den bezüglichen Aeußerungen des Abg Lasker im Reichs
tage sowie überhaupt in den Sten. Ber. und Drucks, ist wenig oder
Nichts zur Motivirung des § 7 zu finden. — Der Abg. Lasker hält den
obigen Passus über die Sicherheitsbestellung für nothwendig, weil der
Richter in der Regel auf Rente und nur ausnahmsweise auf Capital-
Entschädigung erkennen werde und solle. — „Durch das Erkennen auf
Rente ist die Frage der Sicherheitsbestellung sehr in den Vordergrund
getreten". — Stenogr. Ber. S. 500.
Im klebrigen wurde der § 7 ohne specielle Motivirung vom Reichs
tage, und zwar nach dem Antrage der freien Commisfion (Drucks. 9h. 65
zu 7) mit einem Amendement des Abg. Eysoldt (Drucks. Nr. 76) ange
nommen. — Sten. Ber. S. 502. —
schüttert, ja beseitigt: bei den letztern besieht fortan dauernde
Rechtsuusicherheit. —
Was die Alin. 2 und 3 des § 7 beabsichtigen: Sicher
stellung eines für alle Eventualitäten*) richtig bemessenen
Schadensersatzes, liegt schon in § 6 und Alin. 1 § 7 in dem
richterlichen Ermessen vorgesehen. Dem rechts- und sachver
ständigen Richter müssen bei seinen Urtheilen alle den Scha
densersatz bestimmenden Umstände, Zufälle und Eventualitäten
zur Erwägung gegenwärtig sein. Mit der Freiheit, alle mög
lichen Sachverständigen-Urtheile einzuholen, alle ihm nützlich
scheinenden Beweisaufnahmen zu veranlassen, hat der Richter
auch die menschlich-möglichste Befähigung, ein für Gegenwart
und Zukunft Recht und Billigkeit schaffendes Urtheil zu finden.
Entweder § 6 oder § 7 beruht auf Illusionen und Voraus
setzungen, welche dem Richterspruch von vornherein das Miß
trauen der Parteien zuziehen und rechtskräftiges Iudicat zu
einem „In ter misti cum" machen, wie es im Proceßrecht
nirgends sonst zugelassen ist.
6. Das Gesetz giebt nicht näher an, in welchem Ver
fahren die in Alin. 2 und 3 § 7 stattgegebenen Nachfor
derungen und Einwendungen gegen das richterliche Urtheil
geltend zu machen und zu erledigen sind, ob im Wege bloßer
Anträge und Verfügungen, oder durch neue Klageschriften und
richterliche Erkenntnisse. Die neue Civil-Prozeß-Ordnung
könnte hierüber nähere Vorschrift bringen und die Ausführung
des Alin. 2 und 3 § 7 des Haftpflichtgesetzes dem Verfahren
richterlicher „Resolution" zuweisen, womit zugleich die Rechts
kraft der ersten Erkenntnisse besser gewahrt erschiene. In dem
selben Verfahren könnten auch die Anträge auf Aufhebung
oder Herabsetzung der Caution zur Erledigung kommen.
Obgleich dergleichen Anträge dem Haftpflichtigen im Gesetze
nicht ausdrücklich gestattet worden sind, so sind sie nach gemei-
*) Zur Motivirung der Alin. 2 und 3 des § 7 finden sich in den
Reichstags-Verhandlungen folgende Exemplificationen:
„Es kommt sehr osi (?) vor, daß Jemand durch eine Verletzung ein
Auge verliert; anfangs kann man nicht übersehen, daß der Verlust des
einen Auges nach einem längeren Zeitlauf auch den Verlust des anderen
Auges nach sich ziehen wird. Es kommt aber sehr häufig (?) vor, daß
dieser Erfolg eintritt, und daß man, wenn er eintritt, mit Sicherheit nach
träglich sagen kann, er sei lediglich eine Folge des Unfalls".
„Nehmen sie z. B. den Fall an, es wäre Jemand bei einem Eisenbahn-
Unfalle am Kopfe verletzt; er wird in Folge dessen geistig gestört, und der
Richter erkennt auf Entschädigung, weil der Beschädigte arbeitsunfähig ist.
Nach Verlauf von drei Jahren wird der Mann als scheinbar geheilt aus
der Anstalt entlassen. Nach Verlauf von ferneren zwei Jahren, während
welcher er wieder arbeiten kann, repetirt die Geisteskrankheit, — ein
Fall, der so häufig (?) vorkommt". — Stenogr. Ber. S. 499, 500. —
„Nehmen wir den Fall, meine Herren, daß bei einem Eisenbahn
unglück Jemand an seiner Lunge schwer verletzt wird, so daß voraus
sichtlich dieser Mann nur wenige Jahre wird leben können, so würde,
wenn eine Rente festgesetzt würde, ganz sicher keine gerechte Entschädigung
gegeben werden, und in solchem Falle würde es angezeigt sein, ein Capital
zu bewilligen". — Sten. Ber. S. 501. —
Aber, — fragen wir solchen Exemplificationen und Gesetzmotivi-
rungen gegenüber, — aber sind unsere Haftpflicht-Kläger und Beklagte
denn Unmündige, daß die Gesetzgeber auf solche Weise für die Gel
tendmachung ihrer Rechte sorgen müßten? Genügt nicht das Können und
Wissen unserer Juristen, unserer Aerzte, überhaupt aller unserer Lach-
verständigen, welche in Haftpflichtprocessen mitwirken, um alle hier so
rührend cxemplificirten Eventualitäten bei ihren Urtheilen, bei ihren An
waltsfunctionen, bei ihren Gutachten und Anträgen vor und bei dem
ersten zur Rechtskraft bestimmten Richterspruche so wahrzunehmen, daß die
Entschädigungen und Sicherheitsbe,tellungen für alle Fälle Recht und
Billigkeit entsprechen? — In der Gegenwart, wo unsere Juristen, unsere
Aerzte, unsere sonstigen Fachmänner mit ihrem rühmlichen Fachwisten auch
die Kenntniß des wirklichen Lebens und seiner gegenwärtigen und voraus
sichtlich zukünftigen Erscheinungen verbinden, war ihnen ein Mißtrauens
votum, wie es Alin. 2 und 3 § 7 faktisch enthalten, nicht zu geben.