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Vorrede.
gegenstellen, verbietet eine schematische Beurteilung ganz von selbst.
Je länger und intensiver ich mich mit finanzwissenschaftlichen Pro
blemen beschäftige, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, daß
sie in erster Linie Aufgaben der nüchternen Staatsraison stellen und
nur ganz sekundär wissenschaftlicher Natur sind." Damit glaube
ich hinreichend deutlich erklärt zu haben, warum ich nicht in die
Kammerverhandlungen, denen es obliegt, das verantwortungsvolle
Werk einer kommunalen Steuerreform zu verabschieden, eingreifen
wollte. Wenn man mir nun unter Verkennung meiner guten Absichten
und in irrtümlicher Auslegung meiner bisherigen Reserve zuruft:
„Heraus mit Eurem Flederwisch!" so lasse ich mir das nicht gerne
noch einmal sagen, wenn es mir auch so geht, wie dem guten
Valentin seinem ungleichen Gegner gegenüber. Insofern bitte ich,
meine Gelegenheitsschrift auch als eine Verteidigungsschrift aufzm
fassen, die nicht herausgekommen wäre, wenn man mich nicht wieder
holt gedrängt hätte. Viel praktischen Zweck hat allerdings meine
Broschüre auch jetzt nicht. Es liegt mir nach wie vor fern, die
schwebenden Verhandlungen stören und an zuständiger Stelle Ein
druck machen zu wollen. Das ist bei den heutigen politischen Zu
ständen, namentlich der parlamentarischen, gänzlich ausgeschlossen.
Ich gebe mich keinerlei Illusionen hin, daß ich mit den hier aus
gesprochenen Bedenken gegen das vorgeschlagene Steuersystem irgend
etwas anderes ausrichten werde, als daß ich in den demnächstigen
Kammerverhandlungen, wo ich nicht weiter Red' und Antwort stehen
kann, von allen Seiten als der politisierende Gießener Professor, der
aus der Studierstube heraus Steuerpolitik zu treiben sich anmaßt,
von oben herab abgetan werde. Ich möchte aber wenigstens be
weisen, was ich bereits in jener Versammlung behauptet habe, daß
ich nicht mehr Theorie treibe, als andere, die sich und anderen vor
reden, sie seien die allein pfiffigen Steuerdiplomaten. Für even
tuelle sonstige Anzapfungen in der Kammer quittiere ich bereits jetzt
mit gebührendem Gleichmut und mit der köstlichen Bismarckianischen
Tröstung: „Nescio quid mihi magis farcimentum sit!“
Gießen, den 5. April 1905.
Biermer.