Recht und Billigkeit entspricht. Derartige Vergleiche rufen unnütßen Geldaufwendungen, die damit verbunden sind,
keine Befriedigung hervor, sind auch nicht geeignet, das sso viel wie möglich zu unterbinden“. In ganz dem gleichen
Vertrauen zur Rechtspflege zu stärken. Sinne äußert sich ein anderer Richter, Bovensiepen (aaO.):
„Gerichtliche Schlichtungen“, so sagt Dr. Heinz Marr „Jeder Zivilprozeß ohne Ausnahme isst nun ein volks-
(Hamburg) in einem besonders bemerkenswerten Vortrag wirtschaftliches, sehr oft auch ein ethisches Übel. Er ver-
über „Die Bedeutung der gemeinnützigen Rechtsauskunft schlingt Zeit, Geld und Nervenkraft zum mindesten auf
für denRechtsfrieden“, „bleiben doch allemal Friedensschlüsse einer Seite, sehr oft bei beiden Parteien, oft werden die
auf dem Schlachtfelde, nützlich zwar und sehr notwendig. Leidenschaften aufgestachelt und der Ausgang, die Ent-
Aber meine Beobachtungen bestätigen keineswegs die An- scheidung mag noch so gerecht ausgefallen sein, hinterläßt
sicht, jeder gerichtliche Vergleich wäre schon ein positiver, nur zu leicht ein Gefühl der Verstimmung, um nicht zu
das Rechtsgefühl versöhnender Friedenserfolg. – Er ist sagen der Verbitterung, tief prägt sich der Stachel der
nicht selten eine zwangvolle Beendigung des Kampfes auf wohßhl fast stets von einer Partei als unbillig empfundenen
Kosten des Rechts der weniger dreisten und weniger Entscheidung in das Gemütsleben und auch in den Geld-
starken Partei. Wie wenig die offizielle Justiz zum wahren beutel der unterliegenden Seite ein."
Rechtsfrieden beizutragen vermag, verraten ganz erst Die vor dem Kriege der Prozeßnot von einer
die Ziffern der nach g 510€ ZPO. erzielten wirklich solchen zu sprechen ist leider keine Übertreibung + ge-
echten Schlichtungen. Nach diesem Paragraphen können widmeten Erörterungen zielten durchweg auf eine Um-
die Parteien bekanntlich, oder vielmehr unbekanntlich, den gestaltung des Zivilprozesses ab. Der Deutsche Richtertag,
Richter ausdrücklich als Schlichter anrufen. Auf diese viele andere Körperschaften, Männer der Wissenschaft und
Art kamen aber 1910 in ganz Preußen 641, in Bayern 319, der Praxis, haben sich eingehend mit der Reform des
in Sachsen 218 echte Friedensschlüssse zustande.“ Prozeßrechtes befaßt. In diesem Zusammenhange kann
Im Rahmen der offiziellen Rechtspflege fehlt es, indessen unerörtert bleiben, ob in und welchen Beziehungen
von den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten und von den eine Umgestaltung des Zivilprozesses notwendig ist. Ein
süddeutschen Gemeindegerichten vielleicht abgesehen, heute Prozeß wird stets mit Kosten verknüpft sein, die namentlich
an einer geeigneten, zweckdienlichen Einrichtung zur güt- bei kleineren Wertgegenständen den Wert des Streit.
lichen Regelung von Streitsachen; das ist die wahre gegenstandes gar leicht übersteigzen. Ein Prozeß wird
Ursache für die hohe und wachsende Prozeßziffee. Sehr gzumeist mit Gefahren verknüpft sein, die sich bei der
zu Unrecht werden diese Prozeßziffern auf eine Prozeßwut, Rechts- und Verfahrensunkenntnis der breiten Massen
auf eine angeblich bei dem Deutschen besonders aus- des Volkes niemals ganz vermeiden lassen, und wird
geprägte Freude am Kampf ums Recht zurückgeführt. auch bei erheblicher Beschleunigung oft wesentlich länger
Die Rechtsuchenden wollen ihr Recht und sind zumeist dauern, als dies im wirtschaftlichen Interesse der Parteien
nicht geneigt, ohne weiteres, nur um des lieben Friedens erwünscht ist. Der Prozeß wird schließlich stets seinen
willen, Vergleichsvorschlägen zuzustimmen, zumal wenn Charakter als Rechtsstreit, als ein Kampf um das Recht,
sie vor möglichster Klärung der Sach- und Rechtslage ger bewahren und daher Kampfstimmung erzeugen, die das
macht werden; bis in die breitesten Massen des Volkes friedliche Zusammenarbeiten der Bürger stört und schädigt.
hinein hat sich das Rechtsgefühl in den lezten Jahrzehnten Durch eine Umgestaltung des Prozesses mag man seine
außerordentlich entwickelt und verfeinert. Aber man üUnwirtischaftlichkeit mildern; die Unwirtschaftlichkeit des
will das Recht auf einem möglichst einfachen, schnellen Hivilprozesses, wenn er als Massenerscheinung im Rechts-
und gefahrlosen Wege; niemand hat ein Interesse daran, leben auftritt, wird man indessen nicht beseitigen können.
und niemand wünscht, daß das Recht erst durch einen Der Prozeß ist, von den angedeuteten Ausnahmefällen
langwierigen Rechtskampf zur Verwirklichung geführt gdabgesehen, ein Übel, eine Krankheitserscheinung, eine Un-
wird. Nur der unzureichende Ausbau des Güteverfahrens wirtschaftlichkeit, die unter allen Umständen möglichst
im heutigen Recht ist für das Vorherrschen des Rechts- vermieden, die auf Fälle beschränkt werden muß, in
kampfes, der Prozessiererei, die auf die gesamten wirt- denen alle anderen Möglichkeiten der Erledigung er-
schaftlichen und sozialen Verhältnisse so nachteilig wirkt, schöpft sind. Daher ist es Aufgabe der Gefset-
verantwortlich zu machen. gebung, dem Prozeßverfahren ein vom Prozeß
' Selbstverständlich ist nicht der Prozeß überhaupt aus und vom Gericht völlig getrenntes Güteverfahre
unserem Rechtsleben auszuschalten. Manche Rechts- fahren voranzustellen und dieses in zweck-
streitigkeiten sind nur durch den Richterspruch zur Er- entsprechender Weise auszubauen.
ledigung zu bringen. Auch der Bedeutung, die Gerichts- Unser heutiges Prozeßrecht drängt den Gläubiger
erkenntnisse für die Fortentwicklung der Rechtsprechung wider Willen auf einen Weg, den er weit lieber nicht
und der Rechtswissenschaft haben können, wird man sich beschreiten würde. Er will meist gar nicht prozessieren,
nicht verschließsen. Aber diese Vorbehalte treffen nur auf sondern er will nur sein Geld vom säumigen oder
wenige Fälle zu; sie können an der Tatsache nichts ändern, hartnäckigen Schuldner Haben. Da er meist selbst
daß in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle der nicht die nötige Zeit, auch oft nicht die nötige Gewandtheit
Prozeß unwirtschaftlich ist und gemeinschädlich wirkk. und Gessetzeskenntnis zur Durchführung des gesamten
Diese Erkenntnis brach sich schon vor dem Kriege mehr und gerichtlichen Verfahrens besitzt, bevollmächtigt er
mehr Bahn. So schreibt Landgerichtsrat Dr. Mangler einen Anwalt; der Gegner faßt dieses Zahlungsbegehren
in einem Aufsatz der Deutschen Richterzeitung über Prozeß- als angesagten Kampf auf, nimmt sich ebenfalls einen
verhütung (5. Jahrgang, 1912), „daß sich Prozesse nicht Anwalt, und der Prozeß nimmt seinen’ Lauf mit all seinen
vermeiden lassen, solange wir Menschen eben Menschen unangenehmen Begleiterscheinungen und oft recht bitteren
und keine Engel sind, ist selbstverständlichj; ab r ebenso Folgen. Aufgabe der Gesetzgebung ist es, entsprechende
selbstverständlich ist, daß eine gute Justiz darauf hinarbeiten Möglichkeiten außergerichtlicher Regelung von Rechts-
wird, die Prozesse mit ihren bösen Folgen, insbesondere streitigkeiten zu schaffen, insbesondere das Güteverfahren
auch in ethischer Beziehung, nicht zuleßkt aber wegen der auszubauen. Die Rechts- und Prozefinot des Volkes ist