Full text: Die Bodenreform im Lichte des humanistischen Sozialismus

128 Die Wohnungsfrage. 
keine Rede sein. Auf die Dauer fühlt sich kein Familien 
mitglied in den notwendig dunstigen Räumen, und sei die 
Familie auch noch so klein, wohl. Ein Zimmer muß Wohn- 
raum, Küche, Kinderstube und Trockenspeicher zu gleicher 
Zeit sein! Wer wagt es, einen Stein auf den Familienvater 
zu werfen, den es abends in die Wirtshäuser treibt, um 
dort den durch zu lange Arbeit und Entbehrungen ermüdeten 
Körper durch Alkohol zu betäuben , dort die Erholung zu 
suchen, die ihm sein Heim gewähren sollte! Wo aber der 
Vater nicht seinen Kindern nahe ist, wo die Frau kein 
Interesse an Sauberkeit, Sparsamkeit findet, da lösen sich 
die Familienbande, die Zucht der Kinder wird immer 
lockerer. Fast alle Klagen, welche über die zunehmende 
Verwilderung der Jugend geführt werden, haben ihren 
Grund in dem Mangel eines trauten Familienlebens, das 
Beispiel des Guten und Schönen fehlt den Kindern. Das 
Familienleben hat aber neben anderen eine geräumige, 
saubere Wohnstätte zur Vorbedingung! — 
Wenn wir die Wohnungsfrage als einen integrierenden 
Teil der sozialen Frage unserer Zeit auffassen, so versteht 
sich, daß wir bei Erforschung der Ursachen auf alle die 
Faktoren Rücksicht nehmen müssen, die auf die Lebens 
haltung des Volkes überhaupt Einfluß haben. Es ist, kurz 
gesagt, die heutige Wohnungsnot eine notwendige Konsequenz 
des kapitalistischen Systems, das unserer Zeit bis heute 
seinen Stempel aufgedrückt hat, der schrankenlosen Aus 
beutung der Schwachen durch den Starken resp. Pfiffigen. 
Gleichsam die letzte Stufe der niederträchtigsten Ausbeutung, 
schließt sie unsäglich viel Jammer und Elend in sich ein, 
daß der Menschenfreund von Mitleid und Grauen erfaßt 
wird. Und wohl unter dem Eindrücke, welchen der Anblick 
des verödeten Familienlebens unserer Armen auf sie ge 
macht, hat die amerikanische Dichterin Mrs. Browning die 
folgenden ergreifenden Worte gesprochen:
	        
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