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Politik getrieben. Diese schutzzöllnerische Politik wurde
auch später fortgesetzt. Nur eine kurze Zeit, und zwar unter
Alexander I., war man zum Freihandel übergegangen. Es ist
die Rede von dem sog. liberalen Tarif, der von 1819 bis 1822
in Kraft war. Kankrin schreibt ihn dem Wiener Kongreß zu,
dessen Beschlüsse den Artikel über freien Handel enthielten. 1 )
Das mag gewiß die nächste Ursache des neuen Tarifs von
1819 gewesen sein. Man muß aber auch nicht die Stimmung
außer acht lassen, welche damals in Rußland vorherrschend
war. Die Preissteigerung der Manufakturprodukte, bewirkt
durch die protektionistische Politik Katharinens II. (der Tarif
von 1793) und ihres Nachfolgers Paul I., hatte nämlich eine
starke Opposition seitens der Agrarier hervorgerufen. Diese
Opposition wurde noch stärker, als die liberale Ära unter
Alexander I. eintrat und A. Smith durch eine russische
Ausgabe seines Hauptwerkes mächtigen Einfluß auf die
Geister ausübte. Es begann eine starke freihändlerische
Bewegung, welche auch in der damaligen russischen Literatur
ihren Ausdruck fand. In den Regierungskreisen bildeten
sich zwei Parteien: eine agrar-freihändlerische und eine
andere protektionistische, die durch die Vertreter der in
dustriellen Interessen unterstützt wurde. Zuerst hat sich
jedoch Alexander I. trotz seiner freihändlerischen Sympathien
genötigt gesehen, als er sich dem Kontinentalsystem an
schließen mußte, den streng prohibitiven Tarif im J. 1811
zu erlassen. Dieser Tarif galt bis 1816. Der neue Tarif
vom 31. März 1816 trug schon einen milderen Charakter,
bis endlich im ]. 1819 der berühmt gewordene sog. liberale
Tarif in Kraft trat. Die Freihändler konnten sich aber nicht
lange ihres Sieges freuen, denn 1822 ist man wieder zum
alten protektionistisch-prohibitiven System zurückgekehrt.
Sementkowsky meint in seiner Arbeit über G. Kankrin, daß
dieser Tarif wenn nicht ganz Kankrins Werk, so doch nicht
ohne seinen Einfluß entstanden sei. 2 ) (Kankrin war um
1) Vgl. Ök. 242. - 2) Semtk. 38.